Der US-Aktienmarkt hat sich von der Welt abgekuppelt

US-Aktien steigen, europäische stagnieren und chinesische fallen

Es gibt nur wenige Gewissheiten an den Finanzmärkten. Eine davon ist: Der nächste Crash kommt bestimmt. Nur wann?

Am 22. August haben die US-Aktienbörsen einen Rekord geknackt – 3453 Tage „Bullenmarkt“. Damit bezeichnen Börsianer einen Markt mit steigenden Kursen. In dieser Zeit hat sich der US-Aktienindex S&P 500 von 666 Punkten auf über 2900 Punkte mehr als vervierfacht. Fünf Mal sind die Kurse in dieser Zeit um mehr als zehn Prozent gefallen. Von einem „Bärenmarkt“ spricht man aber erst, wenn die Kurse um mehr als 20 Prozent nach unten gehen. Im Moment steigen die Kurse rasant: Seit Anfang April haben die US-Börsen um zwölf Prozent zugelegt. Dabei sind Aktien relativ teuer: Das Preis-Gewinn Verhältnis liegt derzeit bei 25. [1] Das heisst der Börsenwert einer Firma entspricht dem 25-fachen ihres Gewinns. Im historischen Durchschnitt liegt dieser Wert bei nur bei 15.

Klarer Trend. Seit neun Jahren kennt der S&P 500 Index fast nur eine Richtung. (Grafik: macrotrends.net)
Klarer Trend. Seit neun Jahren kennt der S&P 500 Index fast nur eine Richtung. (Grafik: macrotrends.net)

Für die hohen Kurse gibt es naheliegende Erklärungen: Die Wirtschaft brummt. Die US-Notenbank erwartet für dieses Jahr ein Wachstum von 2,8 Prozent. Das sieht man auch auf dem Arbeitsmarkt. Im Juli lag die Arbeitslosenquote bei 3,9 Prozent. Historisch gesehen sind die Zinsen zudem noch sehr niedrig: Trotz mehrerer Zinserhöhungen seit Mitte 2017 liegt der Referenzzins der US-Notenbank bei nur zwei Prozent. Soweit die „Fundamentaldaten“. Hinzu kommen mindestens drei Faktoren, die die Kurse „künstlich“ nach oben treiben: In Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 haben die Notenbanken der USA, der Eurozone und Japans begonnen, Anleihen zu kaufen und so Geld in den Markt zu drücken. Dieses Geld muss irgendwo hin und verteuert daher Aktien oder Immobilien. Trotz des gesunden Wachstums hat die Regierung von US-Präsident Donald Trump zudem ein massives Stimuluspaket aufgelegt: Letztes Jahr ist das Haushaltsdefizit um 14 Prozent auf 665 Milliarden US-Dollar oder 3,5 Prozent der US-Wirtschaftsleistung gestiegen und es steigt weiter. In der Eurozone wäre dies nicht möglich. Wenn dort die Wirtschaft läuft, muss die Verschuldung abgebaut werden. Mit ein Grund für das Defizit ist die Trumpsche Reform der Unternehmenssteuern. Diese sorgt aber noch aus einem weiteren Grund für steigende Kurse: US-Firmen repatriieren Gewinne früherer Jahre, die sie zuvor im Ausland geparkt hatten. Mit diesem Geld kaufen sie ihre eigenen Aktien zurück. Die US-Investmentbank Goldman Sachs schätzt, dass dieses Jahr durch Aktienrückkäufe 1000 Milliarden Dollar in Aktien fliessen – ein Rekordwert. „Rückkäufe sind die kritische Quelle für die Nachfrage nach Aktien, während die meisten anderen Eigentümerkategorien wie Haushalte oder Pensionskassen Netto-Verkäufer sind“, sagt David Kostin, der Chef-Aktienmarktstratege von Goldman Sachs. [2]

Wie lange noch? Der aktuelle Bullenmarkt könnte sich auch als Strohfeuer entpuppen. (Foto: Victoria Catterson / Flickr)
Wie lange noch? Der aktuelle Bullenmarkt könnte sich auch als Strohfeuer entpuppen. (Foto: Victoria Catterson / Flickr)

Es wäre zudem falsch, vom S&P 500 Index auf den Zustand aller grossen US-Unternehmen zu schliessen. Der Index wird von einer kleinen Zahl an Firmen nach oben getrieben, insbesondere den „FAANGs“. Hinter diesem Akronym verstecken sich die Internetgiganten Facebook, Apple, Amazon, Netflix und Google, das seit 2015 als Alphabet firmiert. Technologiewerte machen mehr als ein Viertel des gesamten Index aus und sind für einen weit grösseren Teil von dessen Anstieg verantwortlich. [3] Netflix ist dieses Jahr um 83 Prozent, Amazon um 68 Prozent, Apple um 29 Prozent und Alphabet um 18 Prozent gestiegen. Einzig Facebook hat seit Jahresbeginn nicht zugelegt. Dafür hatte ein weiterer Technologiewert ein gutes Jahr: Microsoft-Aktien haben sich um 30 Prozent verteuert. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die meisten anderen Firmen im S&P 500 Index kaum zugelegt haben oder sogar sinkende Kurse verzeichnen mussten.

Wie es mit dem Bullenmarkt weitergeht, ist unklar. Für ein baldiges Ende sprechen wirtschaftliche und politische Krisen rund um die Welt: Mehrere Schwellenländer stecken in einer Schulden- und Währungskrise: Der argentinische Peso und die türkische Lira haben mehr als 40 Prozent ihres Werts eingebüsst und der brasilianische Real 20 Prozent. Der Handelskrieg zwischen den USA und China wird immer dramatischer. Die USA werden voraussichtlich im September weitere 200 Milliarden Dollar an chinesischen Exporten mit einem Zoll von 25 Prozent belegen. Auch die Lage im Mittleren Osten ist extrem volatil: Saudi Arabien und der Iran tragen ihre Rivalität in Stellvertreterkriegen im Yemen und in Syrien aus. Zudem treten demnächst neue US-Sanktionen gegen den Iran in Kraft, da Trump das Atomabkommen mit dem Land aufgekündigt hat. Immer härteren Sanktionen unterliegt auch Russland, was sich auch im Rubelkurs zeigt. Dieser ist seit Jahresbeginn um 15 Prozent gefallen.

Auffällig ist auch, dass sich die Börsenrally auf die USA beschränkt. Der Eurostoxx 50 Index für europäische Aktien ist seit Jahresbeginn marginal gefallen und der Index der Börse in Schanghai hat sogar 18 Prozent eingebüsst. Diese Abkopplung lässt sich einerseits mit der Bedeutung der FAANGs für den US-Index und mit dem Handelskrieg erklären. Andererseits könnte sie aber auch auf etwas anderes hindeuten: Der US-Markt profitiert von einem Strohfeuer aus Aktienrückkäufen und Schulden. Doch selbst wenn letzteres zutrifft, kann der Bullenmarkt noch monatelang weitergehen. Am besten hält man sich als Anleger daher wohl an einen Satz von Robert Subbaraman, dem Chefökonomen der japanischen Bank Nomura: „Geniesse die Party, aber bleib nah bei der Tür.“ [4] mic

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[1] multpl, Stand 30.08.2018: S&P 500 PE Ratio

[2] CNBS, 06.08.2018: Companies set to buy back $1 trillion worth of shares this year, and that should keep market afloat, Goldman says

[3] CNBC, 06.08.2018: Technology stocks make up too much of the S&P 500, so the index has a big move planned for Google, Facebook

[4] CNBC, 22.03.2017: ‘Enjoy the party but stay close to the door’ (Video)