Das Jahr der Kipppunkte

Klimakonferenz beginnt nach gutem Jahr für Klimapolitik und schlechtem fürs Klima

Die Menschheit steht „vor einer entscheidenden Periode in der Weltgeschichte“, deren nächstes Kapitel ab nächster Woche bei der Klimakonferenz in Marrakesch geschrieben wird. Dort müssen Anreize entwickelt werden, um die Investitionen in klimafreundliche Infrastruktur zu verdoppeln.

Im Klimasystem lauern Kipppunkte. Wenn diese erreicht werden, verstärkt sich die Klimaerwärmung selbst. Sollte sich etwa die Polarregion so sehr erwärmen, dass die Permafrostböden in Sibirien auftauen, werden riesige Mengen Methan frei – ein stärkeres Treibhausgas als CO2. Lord Nicholas Stern, de Autor des ‚Stern Berichts‘ über die Kosten des Klimawandels, warnt: „Solche Kipppunkte könnten schnelle und katastrophale Auswirkungen haben.“ [1] Lange waren die Klimawissenschaften davon ausgegangen, dass bis zu einer Erwärmung von zwei Grad keiner dieser Punkte erreicht wird. Doch mittlerweile ist klar, dass die Erwärmung besser auf 1,5 Grad begrenzt werden sollte (s. Artikel unten). Das Problem: Das Klima ist jetzt schon rund ein Grad wärmer als vor Beginn der industriellen Revolution. Grund dafür ist insbesondere CO2. Dessen Konzentration in der Atmosphäre ist heute knapp 50 Prozent höher als damals (siehe Grafik). Zum ersten Mal seit mindestens 650‘000 Jahren kamen das ganze Jahr über mehr als 400 CO2 Moleküle auf eine Million ‚Luftteilchen‘, eine Masszahl, die als 400 ppm (parts per million) abgekürzt wird. Der Chef der Weltorganisation für Meteorologie, Petteri Taalas, spricht daher von einer „neuen Ära des Klimawandels“. [2]

Kipppunkt. Wenn ein Eisschelf kollabiert ist es zu spät. Der Prozess lässt sich weder aufhalten noch rückgängig machen. (Foto: Nasa)
Kipppunkt. Wenn ein Eisschelf kollabiert ist es zu spät. Der Prozess lässt sich weder aufhalten noch rückgängig machen. (Foto: Nasa)

Gleichzeitig hat dieses Jahr aber auch eine ‚neue Ära‘ in der internationalen Klimapolitik begonnen. Dank der Blitz-Ratifikation des Pariser Klimaabkommens durch die USA, China, Indien, die EU und viele andere Länder tritt dieses am 4. November in Kraft, drei Tage vor Beginn der Klimakonferenz in Marrakesch (Marokko). Damit hat die Welt zum ersten Mal ein Klimaabkommen, in dem sich alle Länder zur Begrenzung ihrer Emissionen verpflichten. Des weiteren haben sich die Länder der Welt darauf geeinigt, die Emissionen aus dem Flugverkehr auf dem Niveau des Jahres 2020 zu deckeln. Zudem werden sie den Ausstoss einer Klasse von Super-Treibhausgasen (den FKWs) mit Hilfe des Montreal Protokolls zum Schutz der Ozonschicht um mehr als 80 Prozent bis zum Jahr 2050 reduzieren. Fortschritte gibt es auch bei der Unterstützung der armen Länder beim Kampf gegen den Klimawandel. Zum ersten Mal gibt es einen ‚Fahrplan‘, wie die Klimafinanzierung auf 100 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2020 anwachsen soll. [3] Diese Summe hatten die Industriestaaten den Entwicklungsländern bei der Klimakonferenz in Kopenhagen im Jahr 2009 versprochen. Ein Meilenstein wurde schliesslich bei der Energieerzeugung erreicht: Zum ersten Mal übersteigt die Kapazität von Solar-, Wind- und Wasserkraft diejenige aller Kohlekraftwerke der Welt. „Wir sind Zeuge einer Transformation der globalen Energiemärkte.“, sagt Fatih Birol der Chef der Internationalen Energieagentur IEA. [4]

Ausbruch. CO2 Konzentration in der Atmosphäre in ppm. (Zum Vergrössern klicken. Grafik: Nasa)
Ausbruch. CO2 Konzentration in der Atmosphäre in ppm. (Zum Vergrössern klicken. Grafik: Nasa)

Bei der Klimakonferenz in Marrakesch stehen die Länder trotzdem vor einem Problem. Denn all‘ das reicht nicht um die Klimaerwärmung auf zwei Grad geschweige denn auf 1,5 Grad zu begrenzen. Mit den aktuellen Klimaplänen der Länder wird sich das Klima um 2,2 bis 3,4 Grad bis zum Ende dieses Jahrhunderts erwärmen, wie die Forscher hinter dem Climate Action Tracker ausgerechnet haben. [5] In Marrakesch haben erst die Klimadiplomaten und später Minister daher zwei Aufgaben zu erfüllen: Zum einen müssen sie die ‚Bedienungsanleitung‘ für das Paris Abkommen schreiben, wo etwa ausgedeutscht wird, was unter „transparenter Berichterstattung“ zu verstehen ist. Und zum anderen müssen sie dafür sorgen, dass die Länder ihre Klimapläne nachschärfen. Denn die Zeit drängt. „Die nächsten zwanzig Jahre werden eine entscheidende Periode in der Weltgeschichte.“, sagt Stern. [1] Ausschlag gebend für Erfolg oder Misserfolg seien die Investitionen in Infrastruktur. Derzeit würden weltweit jährlich 3400 Milliarden Dollar in Infrastruktur investiert. Dieser Wert müsse knapp verdoppelt werden, wenn die Klimaerwärmung auf „deutlich unter zwei Grad“ begrenzt werden soll. Stern hält das für machbar: „Derzeit gibt es keinen Mangel an Spargeldern.“ Ausserdem seien die Zinsen „historisch niedrig“. [1] Die Ausgangslage für die Abwehrschlacht gegen den Klimwandel ist also nicht schlecht. Marrakesch wird erste Anhaltspunkte liefern, ob die Menschheit diese Chance auch zu nutzen weiss. mic

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Dann abonnieren Sie doch weltinnenpolitik.net per RSS oder Email
oder folgen sie der Facebook Seite

[1] Lord Nicholas Stern, 28.10.2016: ‘The Stern Review +10: new opportunities for growth and development’

[2] WMO, 24.10.2016: High greenhouse gas levels mark start of new era of climate reality

[3] Australien und Grossbritannien, 17.10.2016: Roadmap to US$ 100 Billion (PDF)

[4] IEA, 25.10.2016: IEA raises its five-year renewable growth forecast as 2015 marks record year

[5] CAT, Stand 27.10.2016: Effect of current pledges and policies on global temperature