Der Nahe Osten erlebt die schwerste Dürre seit Jahrzehnten

Der ‚Fruchtbare Halbmond‘, die Wiege der ersten Hochkulturen, droht auszutrocknen

Terror und Krieg sind nicht genug: Irak und Syrien leiden dieses Jahr unter der zweiten Dürre innert fünf Jahren.

Seit dreieinhalb Jahren tobt der Bürgerkrieg in Syrien. Seither wurde eine Viertel Millionen Menschen getötet und neuneinhalb Millionen Menschen, knapp die Hälfte aller Syrer wurde zu Flüchtlingen im eigenen Land oder in den Nachbarstaaten. Einer dieser Nachbarn steht nun seinerseits vor dem Kollaps: Der Islamische Staat IS hat weite Teile des Iraks unter seine Kontrolle gebracht und droht mit der Ausrottung aller Minderheiten. Doch selbst ohne diese Kriege stünde der Nahe Osten vor einem katastrophalen Jahr: Seit mindestens 1970 hat es nie so wenig geregnet wie 2014, wie der Standardisierte Niederschlagsindex (SPI) zeigt. [1] Betroffen sind davon Syrien, der Irak, Libanon, Jordanien und die palästinensischen Gebiete. (Israel hat dank der Entsalzung von Meerwasser und modernen Bewässerungsanlagen keinen Wassermangel.) Dabei liegt die letzte Dürre im Nahen Osten nur vier Jahre zurück. In den Jahren 2006 bis 2010 herrschte ebenfalls Dürre, was über steigende Lebensmittelpreise und Landflucht zum ‚Arabischen Frühling‘ beigetragen hat. „Ich glaube nicht, dass man in den letzten 100 Jahren eine Fünf-Jahres-Periode finden kann, die so trocken war.“ sagt Mohammad Raafi Hossain, von der UN Landwirtschaftsorganisation FAO. [1]

Ein Kämpfer der Freien Syrischen Armee in Aleppo: Wenn der Krieg zu Ende ist, sind nicht nur die Städte zerstört sondern auch vom 'Fruchtbaren Halbmond' ist womöglich kaum noch etwas übrig (Foto: VOA)
Ein Kämpfer der Freien Syrischen Armee in Aleppo: Wenn der Krieg zu Ende ist, sind nicht nur die Städte zerstört sondern auch vom ‘Fruchtbaren Halbmond’ ist womöglich kaum noch etwas übrig (Foto: VOA)

Die Dürre trifft eine Region die als ‚Fruchtbarer Halbmond‘ bekannt ist (siehe Karte). Dieser Niederschlagsgürtel ermöglichte vor 10‘000 Jahren die neolithische Revolution, den Übergang vom Steinzeit-Nomaden zum sesshaften Bauern, der Ackerbau und Viehzucht betreibt. In der Folge entwickelten sich im Zweistromland zwischen dem Euphrat und dem Tigris die ersten Hochkulturen. Vor rund 6000 Jahren bauten dort die Sumerer die Stadt Ur, erfanden das Rad und entwickelten die Keilschrift. Später kamen dann die Babylonier, Assyrer, Perser, Alexander der Grosse, die Römer und schliesslich das osmanische Reich. Alle profitierten von den fruchtbaren Böden und den grossen Flüssen, die aus dem Taurus (Türkei) und dem Zagros Gebirge (Iran) sowie den Golan Höhen (Israel) gespeist werden. Diese Gebirge dienen als natürliche Wasserspeicher des ‚Fruchtbaren Halbmonds‘. Die Schneemassen, die dort in den Wintermonaten fallen, tauen in der trockenen Zeit von April bis September langsam ab und füllen die Flüsse und damit die Bewässerungskanäle der Bauern.

Der Fruchtbare Halbmond ist die Wiege der westlichen Hochkulturen (Karte: Wikipedia)
Der Fruchtbare Halbmond ist die Wiege der westlichen Hochkulturen (Karte: Wikipedia)

Doch die Landschaft, die 6000 Jahre lang eine Hochkultur nach der anderen ermöglicht hat, ist in Gefahr. Seit Mitte des letzten Jahrhunderts wird es im Nahen und Mittleren Osten immer wärmer. [2] Die Monate März, April, Mai 2014 waren im Irak denn auch die heissesten seit 1880. [3] Und dieser Trend dürfte sich fortsetzen, wie eine Studie der Weltbank zeigt. [4] Diese erwartet für die Region eine Erwärmung um bis zu drei Grad in den nächsten vierzig Jahren. Was dies bedeutet zeigt ein Niederschlagsmodell für den ‚Fruchtbaren Halbmond‘ [5]: In der Südtürkei, Syrien, Israel und dem Libanon geht die Niederschlagsmenge um fünf bis zwanzig Zentimeter pro Jahr zurück. Dadurch reduziert sich die Wassermenge im Euphrat um ein Drittel und im Jordan gar um 80 Prozent. Die Studie kommt daher zum Schluss: „ Der Fruchtbare Halbmond wird seine gegenwärtige Form verlieren und könnte sogar ganz verschwinden.“

Der Klimawandel ist aber nicht die einzige Gefahr für den ‚Fruchtbaren Halbmond‘: Hinzu kommen Bevölkerungswachstum und das schlechte Management der natürlichen Ressourcen. In Jordanien, dem Irak und Syrien wächst die Bevölkerung um zwei bis drei Prozent pro Jahr. Damit wird sich die Bevölkerung in diesen Ländern bis 2050 mehr als verdoppeln. Dabei leben viele dieser Länder schon heute von ihrer ökologischen Substanz: So fällt in Syriens Hauptstadt Damaskus der Grundwasserspiegel um sechs Meter pro Jahr und im Osten des Landes rückt wegen massiver Überweidung die Wüste vor. [6] Kurz, wenn dereinst die Kriege im Nahen Osten beendet sind, ist vom ‚Fruchtbaren Halbmond‘ womöglich kaum noch etwas übrig. mic

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[1] Reuters, 07.03.2014: Middle East drought a threat to global food prices

[2] New York Times, 21.01.2014: WikiLeaks, Drought and Syria

[3] Slate, 27.06.2014: Hot Zone – Is climate change destabilizing Iraq?

[4] The Guardian, 08.01.2013: Temperatures to rise by six degrees in Middle East countries

[5] Akio Kitoh et al., 2008: First super-high-resolution model projection that the ancient “Fertile Crescent” will disappear in this century (PDF)

[6] Francesca de Chatel, 27.01.2014: The Role of Drought and Climate Change in the Syrian Uprising – Untangling the Triggers of the Revolution (PDF)