Ein Gutteil der Kohlemeiler könnte in den nächste fünf Jahren vom Netz gehen

Eine Reform des EU-Emissionshandelssystem könnte zu einem CO2-Preis von 40 Euro pro Tonne führen

Auf dem europäischen CO2-Markt besteht ein Überangebot und dennoch steigt der CO2-Preis rapide. Der Grund dafür ist eine Reform des Handelssystems, die in den nächsten fünf Jahren die Zahl der neuen Zertifikate reduziert. Das trifft insbesondere die Betreiber von Kohlekraftwerken.

In den letzten 16 Monaten war das beste Rohstoffinvestment CO2. Die EU-CO2-Zertifikate im Wert von einer Tonne sind von knapp fünf Euro auf heute knapp über 20 Euro gestiegen. Diese Zertifikate werden von rund 11‘000 CO2-Grossemittenten wie Kohlekraftwerken und Zement- oder Stahlfabriken benötigt. Jedes Jahr versteigern (und verschenken) die EU-Länder eine festgelegte Anzahl Zertifikate, die anschliessend im EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS) gehandelt werden können. Am Ende jedes Jahres müssen die Grossemittenten dann für jede Tonne ihrer CO2-Emissionen ein Zertifikat abgeben. Abgedeckt sind auch Fluggesellschaften, die für die CO2-Emissionen ihrer innereuropäischen Flüge Zertifikate benötigen. So können die Emissionen der betroffenen Emittenten gedeckelt werden. Doch das System hatte viele Jahre lang kaum eine Auswirkung auf die Emissionen. Der CO2-Preis lag unter zehn Euro und die betroffenen Firmen hatten keinen nennenswerten Anreiz, in die Reduktion ihrer Emissionen zu investieren. Der Grund dafür ist simpel: Es wurden zuviele Zertifikate ausgegeben. Derzeit sind überschüssige Zertifikate für 1,6 Milliarden Tonnen CO2 im Markt. [1 s. S. 41]

Durststrecke. Kurz nach Start des EU-Handelssystems stieg der CO2-Preis auf 30 Euro. Dann ging's bergab und in den letzten Jahren lag der Preis immer unter zehn Euro. Doch jetzt tut sich wieder was. (Grafik: Sandbag [2])
Durststrecke. Kurz nach Start des EU-Handelssystems stieg der CO2-Preis auf 30 Euro. Dann ging’s bergab und in den letzten Jahren lag der Preis immer unter zehn Euro. Doch jetzt tut sich wieder was. (Grafik: Sandbag [2])
Aus diesem Grund haben die EU-Länder beschlossen ab nächstem Jahr eine Marktstabiliserungsreserve (MSR) einzuführen. So lange die Zahl der überschüssigen Zertifikate grösser als 833 Millionen ist, werden weniger Zertifikate versteigert und damit auf den Markt geworfen sondern ein Teil der Zertifikate wird in der MSR „geparkt“. Dieser Teil entspricht 24 Prozent der überschüssigen Zertifikate. Nächstes Jahr werden daher 400 Millionen Zertifikate weniger versteigert als ursprünglich vorgesehen. [1 s. S. 36] Von 2020 bis 2023 fliessen dann jedes Jahr weitere Zertifikate in die MSR wenn auch immer weniger. Doch warum steigt daher der Preis? Schliesslich schwimmt der Markt selbst im Jahr 2024 noch in überschüssigen CO2-Papieren. Diese Frage beantwortet eine neue Studie der britischen Denkfabrik Carbon Tracker. [1] Die kurze Antwort lautet: Weil die Industrie und Spekulanten einen Grossteil der Überschusszertifikate besitzen und Kraftwerksbetreiber und Fluggesellschaften auf die jährlichen Auktionen angewiesen sind, um ihren Bedarf zu decken. Fallen diese Auktionen kleiner aus, müssen sie Überschusszertifikate am Markt kaufen. Doch die Industrie und die Spekulanten wissen das und wollen ihre Überschusszertifikate natürlich möglichst teuer verkaufen. Daher warten sie.

Geduldig. Damit die Besitzer von Überschusszertifikaten diese verkaufen, muss der Preis stimmen. (Gemälde: Unbekannter Schüler von Marinus van Raymerswaele)
Geduldig. Damit die Besitzer von Überschusszertifikaten diese verkaufen, muss der Preis stimmen. (Gemälde: Unbekannter Schüler von Marinus van Raymerswaele)

Carbon Tracker schätzt, dass der CO2-Preis in den Jahren 2020 bis 2023 zwischen 35 und 40 Euro liegen wird. Das entspricht einer weiteren Verdoppelung des heutigen Preises. Doch wie kommt Carbon Tracker auf diese Zahlen? Die Grossemittenten lassen sich in drei Gruppen unterteilen: die Industrie mit einem stabilen Zertifikatebedarf, die Fluggesellschaften mit einem steigenden Bedarf und die Kraftwerke mit einem flexiblen Bedarf. Kraftwerksbetreiber haben die Wahl: Sie können entweder ihre Kohlemeiler laufen lassen oder ihre Gaskaftwerke. Damit bestimmen sie die Nachfrage nach Überschusszertifikaten. Bei den aktuellen Preisen für Kohle und Gas lohnt es sich für die Stromkonzerne bei einem CO2-Preis von 35 bis 40 Euro die dreckigeren Kohlemeiler runter- und die etwas saubereren Gaskraftwerke hochzufahren. Dies ist daher auch der Preis, ab dem die Besitzer der Überschusszertifikate bereit sein werden zu verkaufen. Carbon Tracker schreibt: „Es gibt kein Problem mit dem Zertifikateangebot als solchem, sondern ein Problem mit deren Verteilung und der Preis ist der Mechanismus, um die effizienteste Umverteilung von Zertifikaten sicherzustellen.“ [1 s. S. 47]

Der Wechsel von Kohle zu Gas wird sich auf vier EU-Länder konzentrieren, die genügend Kapazität an beidem haben: Deutschland, Italien, Spanien und die Niederlande. Diese vier Länder werden in den Jahren 2020 bis 2023 rund 120 Terawattstunden Strom mit Gas statt mit Kohle erzeugen. [1 s. S. 14] Dadurch steigt der Strompreis und die Verbraucher haben einen grösseren Anreiz, Strom zu sparen. Durch den Wechsel von Kohle zu Gas und die höhere Energieeffizienz werden so in den Jahren 2020 bis 2023 jeweils wischen 60 und 90 Millionen Tonnen CO2 weniger emittiert als ohne die Angebotsverknapppung durch die MSR. [1 s. S. 10]

Doch was passiert anschliessend, wenn die Zahl der Überschusszertifikate unter 833 Millionen gefallen ist und wieder die ursprünglich vorgesehene Anzahl Zertifikate versteigert wird? Hier kommt nun eine weitere EU-Verordnung ins Spiel: Ab August 2021 gelten strengere Grenzwerte für Schwefel-, Stickstoff- und Feinstaubemissionen. Diese Grenzwerte werden von 80 Prozent der Kohle- und 90 Prozent der Braunkohlekraftwerke in der EU nicht eingehalten. [3 s. S. 2] Um deren Weiterbetrieb zu ermöglichen, müssen diese Anlagen mit Filtern nachgerüstet werden. In Deutschland trifft das auf Steinkohlekraftwerke mit einer Kapazität von 24 Gigawatt (GW) und auf 18-GW-Braunkohlekraftwerke zu. [3 s. S. 2] Doch das Nachrüsten ist teuer. Zudem steigen wegen des CO2-Preises auch die laufenden Kosten dieser Kraftwerke. Aus Sicht von Carbon Tracker „könnte das ausreichen, um die Nachrüstung eines bedeutsamen Teils der Erzeugungskapazität zu verhindern“. Dies „könnte insbesondere in Deutschland und Spanien einen beschleunigten Ausstieg aus alten Stein- und Braunkohlekraftwerken auslösen“. [1 s. S. 52] Oder anders: Während in der deutschen Kohlekommission darüber gestritten wird, wieviel Kohlemeiler nach dem Jahr 2030 noch laufen dürfen, könnten die MSR und der Kampf gegen die Luftverschmutzung dafür sorgen, dass ein Grossteil dieser Kraftwerke schon in den nächsten fünf Jahren vom Netz geht. Das war bei der Ausgestaltung der MSR nicht unbedingt die Absicht. Das Klima würde dieses Resultat aber sicherlich begrüssen. mic

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Dann abonnieren Sie doch weltinnenpolitik.net per RSS oder Email
oder folgen sie der Facebook Seite

[1] Carbon Tracker, 21.08.2018: Carbon Countdown: Prices and Politics in the EU-ETS

[2] Sandbag, Stand 24.08.2018: Carbon Price Viewer

[3] DNV und European Climate Foundation, Oktober 2016: Fact-based scenario to meet commitments under the LCP BREF (PDF)