Wenn das Hirn hungert

Ein Mangel an Spurenelementen macht Kinder dümmer und Länder ärmer

Kalorien sind nicht genug. Damit sich das Gehirn von Kleinkindern entwickeln kann, braucht es Spurenelemente wie Eisen, Jod, Zink und Vitamine.Deshalb werden in Industriestaaten diese Stoffe normalen Lebensmitteln beigemischt – eine extrem billige und einfache Massnahme, die in aber noch nicht weltweit angewandt wird.

Das Welternährungsprogramm WFP hat in Kambodscha auch ein Programm für Schulessen (Foto: WFP)
Das Welternährungsprogramm WFP hat in Kambodscha auch ein Programm für Schulessen (Foto: WFP)

Die gute Nachricht vorweg: Die Zahl der Kinder, die ihren fünften Geburtstag nicht erleben, konnte seit 1990 fast halbiert werden. Jetzt sterben jeden Tag ‚nur‘ noch 19 000 Kinder an vermeidbaren Krankheiten oder an Unter- und Mangelernährung. Doch jetzt die schlechte Nachricht: In vielen der ärmsten Ländern der Welt sind 40 Prozent der Kinder zu klein für ihr Alter. Das zeigt sich nicht zuletzt an ihrem Gehirn (siehe Abbildung) und folglich an ihren schulischen Leistungen. Zu kleine Achtjährige können schlechter lesen und rechnen als ihre normalgrossen Klassenkameraden. Ursache für die schlechteren Leistungen ist oftmals nicht ein Mangel an Kalorien, sondern ein Mangel an Spurenelementen wie Eisen, Jod, Zink und einigen Vitaminen. [1]

Das linke Bild zeigt das Gehirn eines unterernährten, zehn Monate alten Kindes. Das Gehirn (weiss) zieht sich vom Schädelknochen und den Blutgefässen zurück. Rechts sieht man das Gehirn des gleichen Kindes nach 90 Tagen Behandlung. (Quelle: El-Sherif et al. 2012)
Das linke Bild zeigt das Gehirn eines unterernährten, zehn Monate alten Kindes. Das Gehirn (weiss) zieht sich vom Schädelknochen und den Blutgefässen zurück. Rechts sieht man das Gehirn des gleichen Kindes nach 90 Tagen Behandlung. (Quelle: El-Sherif et al. 2012)

„Die ersten 1000 Tage von der Befruchtung der Eizelle bis zum zweiten Geburtstag sind kritisch für die Entwicklung des Gehirns“ sagt Edith Heines die Vize-Chefin des Welternährungsprogramms WFP in Kambodscha. Ein besonderes Problem ist Eisenmangel: Mehr als die Hälfte aller Schwangeren, stillenden Mütter und Kleinkinder in Kambodscha ist anämisch. [2] Bei Kindern unter drei bildet sich deshalb zuwenig Myelin oder ‚Gerhirnfett‘. Dieses beschleunigt die Weiterleitung von elektrischen Signalen zwischen den Gehirnzellen. Noch schlimmer ist allerdings ein Mangel an Jod. Wenn während der Schwangerschaft zuwenig Jod im Körper ist, besteht die Gefahr des Kretinismus. Dieser führt zu einem Verlust von 10 bis 15 IQ Punkten.

Diese ernährungsbedingten Gehirnschäden haben enorme volkswirtschaftliche Kosten: „Kambodscha verliert zwischen 1,5 und 2,5 Prozent seines BIPs wegen des Mangels an Vitaminen und Mineralien.“ sagt Heines mit Verweis auf eine neue WFP Studie über die wirtschaftlichen Folgen von Mangelernährung. [2] Diese Schätzung deckt sich mit anderen Studien, die zeigen, dass zu kleine Kinder als Erwachsene im Schnitt 20 Prozent weniger verdienen. Entsprechend gross ist folglich das Potential durch eine Verbesserung der Ernährung die wirtschaftliche Entwicklung zu beschleunigen. Der Copenhagen Consensus, ein Think Tank, hat ausgerechnet, dass jeder Dollar der in eine bessere Versorgung mit Spurenelementen investiert wird, bis zu 138 Dollar Ertrag bringt. Besonders wichtig ist dabei die Jodierung von Salz und die Anreicherung etwa von Sojasauce mit Eisen und Vitamin A. Die grösste Wirkung hätte allerdings die Anreicherung von Reis. Derzeit läuft ein Versuch von WFP: Dabei wird Reismehl mit den verschiedenen Spurenelementen gemischt und dann in der Form eines Reiskorns gepresst. Diese ‚Superreis‘ kann dann unter ganz normalen Reis gemischt werden.

Doch warum investiert die Welt nicht mehr Geld in derartige Massnahmen? Schliesslich gibt es nur wenige Investitionen mit einer Rendite von über 10 000 Prozent. „Massnahmen zur Verbesserung der Ernährung sind chronisch unterfinanziert.“ sagt Heines. Gemäss einer Studie des Hilfswerks Safe The Children gehen von der gesamten Entwicklungshilfe weltweit nur 0,37 Prozent in den Bereich Ernährung. [1] Und davon wird nur ein Bruchteil in die Versorgung mit Spurenelementen investiert. Dabei stellt selbst die Weltbank fest: „Keine andere Technologie bietet eine bessere Gelegenheit um Leben zu verbessern und die Entwicklung zu beschleunigen – in so kurzer Zeit und zu so niedrigen Kosten.“[3]  mic

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[2] WFP & Unicef, 2013: The Economic Consequences of Malnutrition in Cambodia