Paris-Abkommen zwingt Länder, für Null Emissionen zu planen

Einige Entwicklungsländer kommen Deutschland mit Kohleausstiegsplan zuvor

Um die Klimaerwärmung bei 1,5 oder zwei Grad zu stoppen, müssen die Emissionen im Stromsektor schnell auf Null sinken. Dies hat nun eine Gruppe von Entwicklungsländern angekündigt. Doch die Umsetzung ist nicht überall einfach.

47 Entwicklungsländer wollen in den nächsten drei Jahrzehnten ihre Energieversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energien umstellen. [1] Mit dieser Ankündigung sicherten sie sich die Schlagzeilen am letzten Tag der Klimakonferenz in Marrakesch (siehe Artikel unten). Die 47 Länder sind besonders verletzlich gegenüber den Folgen des Klimawandels und haben sich daher im ‚Climate Vulnerable Forum’ (CVF) zusammengeschlossen. „Unsere Länder liegen an der Klima-Front und wir werden die Auswirkungen des Klimawandels überproportional zu spüren bekommen“, schreibt das CVF. [2]

Klare Botschaft. Nicht nur in Europa sondern auch auf den Philippinen macht die Zivilgesellschaft gegen Kohlestrom mobil. (Foto: Break Free / Flickr)
Klare Botschaft. Nicht nur in Europa sondern auch auf den Philippinen macht die Zivilgesellschaft gegen Kohlestrom mobil. (Foto: Break Free / Flickr)

Nun wollen sie auch etwas gegen den Klimawandel unternehmen und stahlen damit Deutschland, den USA, Mexiko und Kanada die Show. Diese vier Staaten hatten in Marrakesch einen Klimaplan für das Jahr 2050 vorgelegt und dafür viel Lob bekommen. Einen Kohleausstieg sucht man darin allerdings vergebens. Auf die Frage, ob die VCF-Staaten Deutschland überholt hätten, antwortete Bundesumweltministerin Barbara Hendricks: „Es ist doch so, dass die meisten dieser Länder gar keine Kohlekraftwerke haben! Sie steigen nicht aus der Kohle aus, sie steigen nur nicht ein.“ [3]

Doch dies trifft nicht auf alle der 47 Länder zu. Sechs davon haben derzeit Kohlemeiler mit einer Kapazität von 25 Gigawatt (GW) am Netz (siehe Tabelle). Das entspricht 25 grossen Kohlekraftwerken. Im Bau befinden sich weitere 23 GW und in Planung sind sogar 80 GW. Würden alle diese Kraftwerke tatsächlich gebaut, hätten schliesslich 14 der 47 Länder Kohlekraftwerke, also rund ein Viertel. Die Ankündigung der VCF-Staaten ist daher durchaus bedeutsam: Wenn die Länder ihrer Ankündigung Taten folgen lassen, müssen sie in den nächsten beiden Jahren Pläne vorlegen, wann die bestehenden Kohlemeiler abgeschaltet werden und wie sie ohne die geplanten Meiler auskommen.

Kohlekraft in CVF Ländern (in GW Kapazität)

LandGeplant in GWIm Bau in GWAm Netz in GWTotal in GW
Vietnam31161359
Philippinen104620
Bangladesch130013
Mongolei121113
Marokko0134
Kambodscha4004
Sri Lanka3014
Kolumbien1012
Ghana2002
Tansania1001
Dominikanische Republik0101
Kenia1001
Malawi1001
Senegal1001
Total802325128
Quelle: endcoal.org (Stand Juli 2016) [4]

 

Eine besondere Herausforderung wird dies für Vietnam und die Philippinen während Bangladesch und die Mongolei nur auf ihre geplanten Meiler verzichten müssen. Vietnam ist unter den VCF-Staaten der Spitzenreiter bei der Kohleverstromung mit einer Kapazität von 13 GW – rund einem Viertel der deutschen. In Bau und Planung sind aber noch viel mehr: insgesamt 47 GW. Der Chef der Weltbank Jim Yong Kim warnte denn auch in deutlichen Worten, was dies für die Welt bedeutet: „Wenn Vietnam mit (dem Neubau von) mehr als 40 GW Kohle weitermacht, wenn die ganze Region ihre Pläne umsetzt … Das wäre ein Desaster für uns und unseren Planeten.“ [5]

Noch scheint Vietnam aber hin- und hergerissen bei seiner Energiepolitik: Im Januar 2016 hatte der damalige vietnamesische Ministerpräsident Nguyen Tan Dung eigentlich angekündigt, er würde „jedes neue Kohlestromprojekt stoppen“. [6] Doch im Mai musste Dung zurücktreten und sein Nachfolger bestätigte den weiteren Ausbau der Kohle – nur um im Rahmen des CVF erneut den Ausstieg anzukündigen. Ein Grund dafür könnten die Kohleimporte und -exporte sein. Vietnam war stets ein Kohleexporteur. Doch dieses Jahr muss das Land zum ersten Mal Kohle importieren. [7] Für eine weitere Volte in der Kohlepolitik könnte nun die Atompolitik sorgen. Diese Woche hat das vietnamesische Parlament beschlossen, auf den Bau der ersten beiden Atomkraftwerke zu verzichten. „Atomstrom ist nun weniger wettbewerbsfähig als Strom aus anderen Quellen“, sagte Duong Quang Tanh, der Chef des nationalen Stromkonzers. [8] Insbesondere Kohle sei günstiger als zur Zeit der Planung für die Atommeiler.

Ebenso unklar ist die Situation in den Philippinen. „Warum sollte ich mehr Kohlekraft bewilligen?“, fragte Umweltministerin Gina Lopez im Juli dieses Jahres. „Warum sollten wir uns auf eine Energie festlegen, die keine Zukunft hat?“ [9] Der Energieminister sieht dies allerdings anders: „Die Zeichen der Zeit sagen uns, dass Kohle bleiben wird“, sagte Alfonso Cusi letzte Woche und erklärt das Problem: „Wir sehen uns einem `Energie-Trilemma` gegenüber: Wir haben die schwierige Aufgabe, ein Balance zu finden zwischen Versorgungssicherheit, ökologischer Nachhaltigkeit und ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit.“ [10] Trotz der CVF Ankündigung scheint also auch in den Philippinen das letzte Wort über die zukünftige Energiepolitik noch nicht gesprochen.

Damit die 47 CVF-Länder ihren Plan einer Stromversorgung aus Erneuerbaren umsetzen, kann Deutschland helfen. In Marrakesch hat Hendricks zusammen mit Marokko eine neue Initiative aus der Taufe gehoben: die NDC-Partnerschaft. [11] NDCs sind die nationalen Klimapläne der Länder, und Deutschland will hier Entwicklungsländern helfen, möglichst klimafreundliche Pläne zu entwickeln. Hilfreich wäre dabei sicher, wenn Deutschland dabei bereits auf eigene Erfahrung mit dem Kohleausstieg zurückgreifen könnte. Doch die deutsche Regierung wähnt sich offenbar vor einem Kohle-Dilemma. Einerseits ist klar, dass der Ausstieg kommt. Andererseits sind nächstes Jahr Bundestagswahlen. So hat jeder seinen eigenen Zielkonflikt beim Klimaschutz. mic

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[1] CVF, 18.11.2016: Climate Vulnerable Forum Commits to Stronger Climate Action at COP22

[2] CVF, Stand 24.11.2016: CVF Participating Countries

[3] klimaretter.info, 21.11.2016: “Kohleausstieg steht im Klimaschutzplan”

[4] endcoal.org, Juli 2016: Proposed coal plants by country (MW) – July 2016 (PDF)

[5] Guardian, 05.05.2016: Plans for coal-fired power in Asia are ‘disaster for planet’ warns World Bank

[6] Energy Transition, 23.06.2016: Vietnam needs a 21st Century electricity plan

[7] VNexpress, 21.09.2016: Vietnam, hungry for electricity, turns into net coal importer

[8] WSJ, 10.11.2016: Vietnam Scraps Plans for Its First Nuclear-Power Plants

[9] Bloomberg, 11.07.2016: It Just Got Harder to Build Coal Plants in The Philippines

[10] Inquirer, 17.11.2016: Coal here to stay, says DOE chief

[11] klimaretter.info, 15.12.2016: “Wir brauchen Hunderte Ouarzazates”