Schwellenländer haben Wahl zwischen Inflation und Aufschwung

Brasilien und Russland haben die Zinsen bereits kräftig erhöht

Notenbanker in Schwellenländern haben oft weniger Spielraum als ihre Kollegen in den Industriestaaten und sehen sich schon jetzt gezwungen, die Zinsen zu erhöhen damit die Inflation nicht aus dem Ruder läuft. Der Preis dafür ist weniger Wachstum.

Die Notenbanken in Europa und den USA sind sich einig. Der aktuelle Inflationsschub ist „temporär“ respektive „vorübergehend“. Die Auslöser sind Sonderfaktoren: Die Dürren in den USA und Brasilien treiben die Nahrungsmittelpreise nach oben. Das plötzliche Anziehen der Konjunktur und damit des Stromverbrauchs vor allem in China, sorgen für steigende Energiekosten. Und die Folgen des Coronaschocks auf die Wertschöpfungsketten sorgen für hohe Frachtraten und einen Mangel an Computerchips. Wenn diese Faktoren überwunden sind, dann pendelt sich die Inflation auch wieder bei den gewünschten zwei Prozent ein, so die Erwartung. Und das wird schnell genug passieren, sodass die Menschen ihre Inflationserwartungen nicht nach oben anpassen. Folglich besteht auch kein Bedarf mit höheren Zinsen gegenzusteuern.

In einigen Entwicklungsländern haben die Notenbanken hingegen die Befürchtung, dass die Menschen ihre Inflationserwartungen durchaus anpassen und dann ist die Inflation nicht länger „vorübergehend“. Die Chefin der russischen Zentralbank, Elvira Nabiullina, sagte im Juli der Financial Times: „Die Bevölkerung hat nicht genug Vertrauen, um zu verstehen, dass die Zentralbank immer Entscheidungen treffen wird, um die Inflation wieder in den Griff zu bekommen.“ [1] Damit stehen diese Notenbanken vor einer unerfreulichen Wahl: Sie können die Zinsen erhöhen, aber damit laufen sie Gefahr den Aufschwung nach der Pandemie abzuwürgen. Oder sie bleiben bei den niedrigen Zinsen und laufen Gefahr, dass sich die Inflation verfestigt.

Hyperinflation. Irgendwann bringt Geld drucken auch nichts mehr. (Foto: Reserve Bank of Zimbabwe)

Momentan gibt es unter den Schwellenländern zwei Gruppen: die Falken und die Tauben. Zu ersteren gehören die Notenbanken von Russland und Brasilien. Diese haben dieses Jahr die Zinsen bereits viermal angehoben. Trotzdem ist der reale Zinssatz (Zinssatz minus Inflation) zumindest in Brasilien noch klar negativ und die Inflation mit knapp zehn Prozent relativ hoch (siehe Tabelle). Zu den Tauben gehören die Türkei und Polen. In der Türkei liegt die Inflationsrate bei knapp 20 Prozent. Trotzdem erwarten Marktbeobachter, dass die Notenbank noch dieses Jahr die Zinsen senken wird. Der türkische Präsident Recep Erdogan ist ein selbsterklärter „Feind von Zinsen“ und wechselt den Chef der Notenbank aus, sobald dieser die Geldpolitik strafft. Auch Polen scheint unbesorgt. Trotz einer Inflationsrate von fünf Prozent ist der Zinssatz nahe null.

LandInfla-tionsrateZinssatzNetto-ZinssatzWachs-tumsrateBudget-defizit*Schulden-quote*
Brasilien9.68%5.25%-4.43%12.40%13.40%88.83%
China0.80%3.85%3.05%7.90%3.70%66.80%
Indien5.30%4.00%-1.30%20.10%9.40%69.62%
Mexiko5.59%4.50%-1.09%19.60%4.60%52.10%
Polen5.50%0.10%-5.40%11.10%7.00%57.50%
Russland6.68%6.75%0.07%10.50%3.80%17.80%
Südafrika4.60%3.50%-1.10%19.30%2.30%83.00%
Türkei19.25%19.00%-0.25%21.70%3.40%39.50%
USA5.30%0.25%-5.05%12.20%14.90%107.60%
Eurozone3.00%0.00%-3.00%14.30%7.20%98.00%

Ausnahme. Ausser in China ist die Inflation mittlerweile überall relativ hoch. (* in Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP), Datenquelle: TradingEconomics [4])

Ein weiteres Problem sind die oft sehr hohen Budgetdefizite. Da die Nahrungsmittelpreise besonders stark steigen, geben die Regierungen viel Geld für Sozialprogramme aus. Sie befürchten, dass es sonst zu Unruhen kommt wie zuletzt in Südafrika und Kolumbien. Würden die Zinsen steigen und damit der Schuldendienst teurer, stünden die Politiker vor einem Dilemma: Entweder sie kürzen die Sozialprogramme oder sie machen noch mehr Schulden. In manchen Ländern sind die Schuldenquoten des Staats allerdings bereits jetzt sehr hoch für Schwellenländer: Brasilien und Südafrika haben Staatsschulden von über 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und Indien von knapp 70 Prozent.

Das lässt sich momentan problemlos finanzieren, denn die Notenbanken der Industriestaaten fluten die Märkte noch immer mit Geld. Die realen Zinsen sind denn auch negativ: minus fünf Prozent in den USA und minus drei Prozent im Euroraum. Anleger haben daher viel Geld in Schwellenländern investiert, wo sie etwas attraktivere Kondition bekommen. Doch was, wenn die Notenbanken in den Industriestaaten aufhören die Märkte mit Geld zu fluten oder gar die Zinsen anheben? Genau das hat die US-Notenbank im Jahr 2013 angekündigt. Nach der Wirtschaftskrise 2008 hatte sie wie heute die Zinsen auf null gesenkt und zusätzlich im großen Stil Anleihen gekauft. Das wollte sie fünf Jahre später langsam zurückfahren. Als die Märkte davon erfuhren, brachen sie in Panik aus: Die Rendite für Staatsanleihen stieg deutlich und die Börsenkurse brachen ein – eine Episode, die als „Taper Tantrum“ in die Annalen der Finanzmärkte einging.

Doch die Folgen blieben nicht auf die USA beschränkt: Weil dort plötzlich eine bessere Rendite zu bekommen war, zogen die Anleger Geld aus den Schwellenländern ab und tauschten deren Währungen für US-Dollar. Dadurch fielen die Wechselkurse der Schwellenländer im Schnitt um sechs Prozent und viele Länder sahen sich gezwungen deswegen die Zinsen zu erhöhen. [2] Die Folge: Das Wachstum in diesen Ländern brach ein. James Barrineau von der Investmentbank Schroders glaubt allerdings nicht, dass sich das wiederholt: „Die Schwellenländer sind in einer viel besseren Verfassung für diesen Taper, als sie es 2013 waren.“ [3] In den meisten Ländern seien die Währungsreserven höher und die Leistungsbilanzdefizite geringer, denn: „Ironischerweise ist dies zum Teil auf den Schaden zurückzuführen, den die Krise von 2013 angerichtet hat, als die Währungen auf ein extrem niedriges Niveau getrieben wurden.“ mic

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[1] FT, 31.07.2021: Inflation here to stay, Russia’s central bank governor warns

[2] Federal Reserve Bank of Dallas, 10.08.2021: Don’t Look to the 2013 Tantrum for the Effect of Tapering on Emerging Markets

[3] Schroders, 08.05.2021: Why this is no Taper Tantrum 2 for EM bonds

[4] TradingEconomics, Stand 22.09.2021: Matrix