London Heathrow bleibt im Juni und Juli offen

Extinction Rebellion will den Flughafen erst später lahmlegen

Die britische Umweltbewegung Extinction Rebellion verschiebt die geplante Blockade von London Heathrow. Aufgeben will sie den Plan aber nicht, denn dieser ermögliche mit „relativ geringem Ressourceneinsatz“ eine „maximale Störung“.

Viele Menschen auf der Welt werden am Sonntag aufgeatmet haben. Die Umweltbewegung Extinction Rebellion (XR) hat dann mitgeteilt, den Flughafen London Heathrow vorerst nicht am Betrieb zu hindern. [1] Ursprünglich war geplant heute (Dienstag) Europas wichtigstes Luftdrehkreuz mit Drohnenflügen zu blockieren – als Test. Anschliessend sollte der Flughafen dann für zehn Tage im Juli lahmgelegt werden. Damit wollte XR gegen den geplanten Bau einer dritten Startbahn protestieren, die mehr Flüge und damit höhere CO2-Emissionen zur Folge hätte. Wäre Heathrow tatsächlich für elf Tage geschlossen worden, hätte dies immense Folgen gehabt: In elf Tagen nutzen knapp 2,5 Millionen Menschen den Flughafen. Zum Vergleich: Als im Dezember der britische Flughafen Gatwick für anderthalb Tage wegen einer Drohne geschlossen wurde, waren 150.000 Passagiere betroffen und den Fluggesellschaften entstand ein Schaden von 58 Millionen Euro. Die geplante Heathrow-Aktion hätte die Fluggesellschaften daher knapp eine Milliarde Euro gekostet.

Chefrebellin. Im November 2018 erklärte Gail Bradbrook den Beginn des Aufstands gegen das Aussterben vor dem britischen Parlament. (Foto: XR / Kay Michael)

Die nun abgesagte Aktion stiess nicht nur auf die Kritik der britischen Behörden, sondern war auch innerhalb von XR umstritten, wie aus einem internen Email hervorgeht: „Der Vorschlag hat ernsthafte Debatten in der XR-Gemeinschaft ausgelöst – nicht nur über den Vorschlag selbst sondern auch über den (Entscheidungs-)Prozess.“ [2] XR ist sehr schnell gewachsen. Die erste grössere Aktion war die Besetzung von fünf Brücken in London im November 2018. Im April folgte dann die zehntägige Blockade von vier grossen Kreuzungen der Stadt bei der über Tausend Menschen verhaftet wurden. Mittlerweile zählt XR mehr als 100.000 „Rebellen“ in Grossbritannien und hat Ableger in 58 anderen Ländern, darunter Deutschland und die Schweiz. [3] Mit diesem Wachstum konnten die internen Abläufe offensichtlich nicht mithalten, was zu der verfrühten Ankündigung der Heathrow-Aktion geführt hat. Mittlerweile wurde der Plan für die Aktion aber verfeinert und sie soll nun „möglicherweise im September“ stattfinden – nach einer Vorwarnzeit von zwei Monaten für Reisende. [4]

Der neue Heathrow-Plan sieht vor, dass Drohnen maximal auf Kopfhöhe geflogen werden dürfen. Das stellt die Behörden vor ein Dilemma, bei dem sie nur verlieren können. Die erste Möglichkeit ist, sie erklären die XR-Aktion für ungefährlich und der Flughafen bleibt offen. Damit würden die Behörden ihrer eigenen Einschätzung widersprechen, dass die Aktion gefährlich sei. XR glaubt daher, dass diese Option eher unwahrscheinlich ist. Die zweite Möglichkeit ist, die Behörden schliessen den Flughafen und verhaften die Drohnenpiloten. Da in diesem Fall keine Flüge stattfinden und somit keine Flugzeuge in Gefahr sind, droht den Drohnenpiloten voraussichtlich aber „nur“ eine Bussgeld von bis zu 2800 Euro oder eine Bewährungsstrafe. Eine mehrjährige Gefängnisstrafe kann aus Sicht des XR-Rechtsteams aber nicht ganz ausgeschlossen werden. [5]

Möglich wäre aber auch ein Freispruch. Aus Sicht von XR hat Fliegen „Völkermord-ähnliche Konsequenzen für kommende Generationen und die Natur“. [6] Daraus leite sich ein Recht auf Widerstand oder Rebellion ab. „In diesem Land gibt es ein gesetzliches Notstandsrecht, Störmassnahmen zu ergreifen, wenn damit ein viel grösserer Schaden verhindert werden kann.“ [6] Diese Sicht wurde vor drei Wochen von einem britischen Geschworenengericht bestätigt. Dieses entschied auf „nicht schuldig“ in einem Fall von Sachbeschädigung. Der XR-Vordenker Roger Hallam hatte vor zwei Jahren mit kreidebasierter Sprayfarbe Wände der Londoner Universität King’s College besprüht. Der Schaden lag damals allerdings nur bei 8000 Euro.

An Freiwilligen mangelt es XR nicht: Nach eigenen Angaben hat die Bewegung eine Liste mit über 3000 Menschen, die bereit sind ins Gefängnis zu gehen. [3] Für die Heathrow-Aktion stünden zudem 45 Drohnenpiloten bereit. [4] Nach XR-Planung reicht das, um Heathrow für zwei Tage lahmzulegen. Für September angedacht ist allerdings eine Aktion von 16 Tagen. Aus Sicht von XR vereint eine Heathrow-Blockade drei Faktoren in optimaler Weise: „Maximale Störung und damit maximaler politischer Druck, ein relativ geringer Ressourceneinsatz und keine Gefahr, jemanden zu verletzen.“ [5] Das Ziel wäre, die Regierung zu Verhandlungen zu zwingen. Letztlich will XR erreichen, dass das britische Parlament einen Grossteil seiner Befugnisse auf eine Bürgerversammlung überträgt, die aus zufällig ausgewählten Vertretern der Bevölkerung besteht. Diese soll dann über die erforderlichen Massnahmen angesichts des Umwelt- und Klimanotstands entscheiden, den das Parlament nach der XR-Aktion im April erklärt hat. XR geht es also nicht nur um eine Änderung der Umwelt- und Klimapolitik, sondern um den Umbau des britischen Staats. XR-Mitbegründerin Gail Bradbrook sagt denn auch: „Ich organisiere keine Proteste. Ich organisiere einen Aufstand gegen meine Regierung.“ [7] mic

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[1] XR, 16.06.2019: Extinction Rebellion Grounds Summer Protest Plans For Heathrow

[2] XR, 13.06.2019: Ransom-rattled Radiohead rears into righteous Rebellion (Email, kein Link)

[3] XR, Stand 17.06.2019: Extinction Rebellion in Numbers (Google Docs)

[4] XR, Stand 17.06.2019: Extinction Rebellion UK Heathrow Action Proposal (Google Docs)

[5] XR, Stand 17.06.2019: Heathrow Picnic & Drone Session: Legal Briefing (Google Docs)

[6] XR, Mai 2019: Proposal to XR UK groups from Actions Strategy – Heathrow Pause: June 18th and the first two weeks of July 1st to 13th (PDF)

[7] XR, 15.06.2019: Dr. Gail Bradbrook – CogX London, June 2019 (Video)