Wie der Klimawandel an die Börse kam

Der Handel mit Umweltverschmutzung steht nach Start-schwierigkeiten vor seiner Bewährungsprobe

Die Europäische Union hat ein Handelssystem für CO2-Zertifikate geschaffen, um ihre Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll zu erfüllen.

Auf dem Marktplatz wird Gemüse verkauft. An der Börse werden Aktien und Währungen gehandelt. Wie aber handelt man CO2, insbesondere solches, das nicht produziert wurde? Wie viel ist eine Tonne Gas wert? Wer ist der Käufer, wer der Verkäufer?

Die Idee, marktwirtschaftliche Instrumente zum Schutz des Klimas einzusetzen, ist knapp 40 Jahre alt. Der kanadische Ökonom John Dales beschrieb schon 1968 in seinem Buch «Pollution, Property and Prices», wie Klimaschutz und Wirtschaft in Einklang gebracht werden können: Der Staat legt eine Obergrenze für Emissionen fest und verteilt Emissionsrechte an die Verschmutzer. Wer mit seiner Zuteilung an Verschmutzungszertifikaten im Wert von je einer Tonne CO2 nicht auskommt, also zu viel Schmutz produziert, muss entweder seine Emissionen senken oder weitere Zertifikate zukaufen. Die Emissionen werden also erst nach oben begrenzt und dann gehandelt (Cap and Trade). Umweltverschmutzung ist folglich nicht mehr kostenlos.

Das Kyoto-Protokoll hat sich die Idee des Cap and Trade zu eigen gemacht: Alle grossen Industrieländer ausser den USA und Australien haben sich dazu verpflichtet, ihre Emissionen zu senken. Im Durchschnitt der Jahre 2008-2012 wollen die Schweiz und die EU 8% weniger Treibhausgase emitieren als noch 1990. In der EU wurden alle Unternehmen aus besonders energiehungrigen Branchen, wie Energieerzeuger oder Zementhersteller, verpflichtet, am Handel mit Verschmutzungszertifikaten, dem European Trading Scheme (ETS), teilzunehmen. Die rund 12 000 Unternehmen sind für etwa die Hälfte der gesamten Emissionen in der EU verantwortlich. Die Firmen werden mit einem Startkapital an Zertifikaten, sogennanten EU- Allowances oder EUA, ausgestattet. Diese können an der European Climate Exchange (ECX) oder anderen Klimabörsen gehandelt werden. Jeweils Ende April müssen die Unternehmen nachweisen, wie viel CO2 sie im Vorjahr emitiert haben, und die entsprechende Anzahl Zertifikate abgeben. Wer nicht genug Emissionsrechte hat, zahlt eine Strafe von 40 Euro pro Tonne (100 Euro ab 2008). Gegenwärtig ist das System in einer dreijährigen Probephase (2005 bis 2007). Anfang 2008 beginnt dann die erste fünfjährige Handelsphase, die mit den Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll zusammenfällt.

Bis Mitte letzten Jahres entwickelte sich der Markt für Emissionsrechte in der gewünschten Richtung. Der Preis für das Recht, eine Tonne CO2 emitieren zu dürfen, betrug rund 50 Fr. Investitionen zur Vermeidung von CO2 haben sich gelohnt. Heute sind Verschmutzungsrechte spottbillig. An der European Climate Exchange (ECX) kostet eine Tonne derzeit rund einen Franken. Als den Marktteilnehmern Mitte 2006 klar wurde, dass die Zuteilung von Verschmutzungszertifikaten den Bedarf übersteigt, brach der Kurs ein (siehe Grafik). Für nächstes Jahr erwartet der Markt aber wieder eine Verknappung des Angebots. Die überzähligen EU-Zertifikate (EUAs) verfallen Ende 2007 und können nicht auf die nächste Phase des europäischen Handelssystems übertragen werden. Verschmutzungsrechte für 2008 (Futures) kosten derzeit knapp 25 Fr.

Trotz des Kurssturzes ist der Handel mit Verschmutzungsrechten rege: Der Branchendienst PointCarbon schätzt, dass im vergangenen Jahr 818 Mio. Zertifikate gehandelt wurden. Der liquideste europäische Markt ist die European Climate Exchange (ECX) in Amsterdam, die ihren Marktanteil mit 80% angibt. Weitere Handelsplätze sind Powernext in Paris, Nordpool in Oslo sowie die European Energy Exchange (EEX) in Leipzig. Aus europäischer Sicht weniger bedeutsam ist die Chicago Climate Exchange (CCX), da diese nur den freiwilligen Markt bedient.

Die Probephase des Emissionshandels geht dieses Jahr zu Ende. Durch die allzu grosszügige Zuteilung von Verschmutzungsrechten und den daraus resultierenden Kurssturz hat das System Vetrauen verloren. Da die überzähligen Zertifikate aber Ende Jahr verfallen, hat der Emissionshandel noch eine Chance. Die Alternative zum CO2-Handel ist eine CO2-Steuer. Diese gilt ebenfalls als ökonomisch effizient. Ihr Nachteil ist aber, dass keine Obergrenze für Emissionen festgelegt werden kann. Die Steuer muss in einem Trial-and-Error-Verfahren so lange angepasst werden, bis die gewünschte Emissionsreduktion erreicht wird.

Weitere Fragen, die vor 2012 geklärt werden sollen, sind der Einbezug anderer Treibhausgase neben CO2. Methan z. B. ist viel klimawirksamer als CO2. Diese Gase werden ebenfalls vom Kyoto-Protokoll abgedeckt, aber zurzeit nicht gehandelt. Diskutiert wird auch eine Integration der Emissionen aus dem Flugverkehr in den Handel.

Schliesslich gilt es, einen neuen internationalen Vertrag zum Schutz des Weltklimas auszuhandeln. Kyoto läuft 2012 aus. Wenn das Handelssystem einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz beitragen soll, müssen sich sehr viel mehr Länder zu Emissionsreduktionen verpflichten. Gegenwärtig haben nur die europäischen Länder sowie Kanada und Japan konkrete Reduktionsziele. Die USA sind Kyoto nie beigetreten, und die Länder der ehemaligen Sowjetunion haben keine Reduktionsverpflichtungen. Sie müssen das Emissionsniveau von 1990 nur halten. Grosse Entwicklungsländer dürfen gemäss Kyoto ihre Emissionen sogar erhöhen. Wenn die Erwärmung des Weltklimas aber wirklich auf zwei Grad beschränkt werden soll, müssen auch diese Länder ihre Emissionen reduzieren. Der Handel mit Umweltverschmutzung funktioniert, die eigentliche Bewährungsprobe steht aber noch bevor. mic

Schweizer haben die Wahl

Die Schweiz nimmt derzeit nicht am Emissionshandel im Rahmen des European Trading Scheme (ETS) teil. Schweizer Unternehmen haben die Wahl zwischen der CO2-Abgabe und einem Emissionsziel. Über 300 Schweizer Firmen haben mittlerweile solche Emissionsziele ausgehandelt. Ab 2008 werden diesen Unternehmen dann Emissionszertifikate zugeteilt. Diese können innerhalb der Schweiz gehandelt werden.

Hiesige Unternehmen können ausserdem bis zu 8% ihres Zertifikatebedarfs mit CERs decken, die sie am internationalen Markt erworben haben (siehe nebenstehenden Artikel). Um das Kyoto-Ziel zu erreichen, ist ausserdem vorgesehen, die Einnahmen aus dem Klimarappen zum Ankauf von CERs zu verwenden.

Die Schweiz kann sich dem europäischen Handelssystem anschliessen, muss aber nicht. Norwegen, Island und Liechtenstein hingegen sind als EWR-Mitglieder verpflichtet, dem ETS beizutreten, da der Emissionshandel als wirtschaftsrelevant gilt. Der wesentliche Vorteil eines Beitritts zum europäischen Handelssystem ist der Zugang zu einem grossen und liquiden Markt, erklärt Rolf Wüstenhagen vom Institut für Wirtschaft und Ökologie der Universität St. Gallen. Die Schweizer Industrie bekäme so Zugang zu Finanzmarktinstrumenten wie CO2-Futures, durch die Kosten und Risiken der Emissionsreduktion reduziert werden können. mic

Ökonomisch effizient

Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist der Zertifikatehandel effizient, da er die Kosten für Emissionsreduktionen minimiert. Ein Beispiel: Um eine Tonne CO2 einzusparen, muss Firma A 50 Fr. investieren, bei Firma B sind es 150 Fr. Liegt der Marktpreis für eine Tonne CO2 bei 100 Fr., dann wird Firma A die 50-Fr.-Investition tätigen und das gewonnene Zertifikat an Firma B verkaufen. Beide Firmen profitieren, und die Investition wird dort vorgenommen, wo sie am billigsten ist. mic

Aus der Basler Zeitung vom 13.03.2007