Handelspolitik mit und ohne Amerika

Für die EU ist Amerikas Abschied vom Freihandel eine Chance und Gefahr zugleich

Die EU schliesst derzeit ein Handelsabkommen nach dem anderen ab. Gleichzeitig droht aber schon im Herbst die Lahmlegung des Berufungsgerichts der Welthandelsorganisation WTO.

„Es erscheint unwahrscheinlich, dass die USA demnächst wieder zu einer liberalen Handelspolitik zurückkehren werden.“ Das ist das Fazit von Marcus Noland in einer Studie des US-Thinktanks Peterson Institute. [1] Denn sowohl Republikaner als auch Demokraten stünden Freihandel kritisch gegenüber. Erstere aus nationalistischen Gründen und zweitere aus Tradition. Das lasse mehr Raum für andere, sagt Joel Trachtmann von der US-Universität Tufts: „Die EU und Japan, unsere Wettbewerber, schliessen Handelsverträge ab, die sie wettbewerbsfähiger machen.“ [2] Im Fall der EU waren dies zuletzt die Abkommen mit den Mercosur-Staaten und mit Vietnam und diese könnten schon bald in Kraft treten. Denn seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Abkommen mit Singapur werden Abkommen mit Drittstaaten zweigeteilt: in einen Handelsteil über den allein die EU entscheidet und einen Investitionsteil, der auch von den EU-Mitgliedsländern ratifiziert werden muss. [3]

Job well done. Cecilia Malmström hat die EU-Handelsflotille geschickt durch zunehmend raue See gesteuert. Auch das Abkommen mit Singapur wurde vom Europaparlament ratifiziert, aber die Ratifikation durch den Stadtstaat ist noch ausstehend. (Foto: Danial Hakim / EU)

Für den Handelsteil braucht es nur die Ratifikation durch das Europaparlament. Anschliessend kann der europäische Rat die provisorische Anwendung des Vertrags beschliessen wie beim Abkommen mit Kanada. Da dieser Beschluss mit qualifizierter Mehrheit getroffen wird, kann auch kein Land wie etwa Frankreich sein Veto einlegen. [4 s. Art. 218 Abs. 8] Für die EU-Handelspolitik ist das entscheidend. Denn dank dieses Prozederes ist die EU aus Sicht eines Drittstaats ein einheitlicher Block und nicht ein Konglomerat aus 28 Einzelstaaten. Das hat mittlerweile auch US-Präsident Donald Trump verstanden, der zu Beginn seiner Amtszeit noch gemeint hat, er können Handelsverträge mit einzelnen EU-Ländern machen. Mittlerweile haben die USA und die EU auch vereinbart Verhandlungen aufzunehmen. Doch noch sind sie nicht weit gekommen, weil sich die Verhandlungsmandate gegenseitig widersprechen. Die EU will über alle Industriegüter inklusive Autos, nicht aber über Agrarprodukte verhandeln. Die USA hingegen wollen Autos ausschliessen aber dafür Agrarprodukte mitberücksichtigen. [5] Noch ist dieses Dilemma nicht gelöst und es sind auch keine Verhandlungen terminiert. Damit haben die EU-Verhandler Zeit sich auf Länder mit einer liberaleren Handelspolitik als die USA zu konzentrieren. Dies gilt etwa für Australien und Neuseeland, wo die Verhandlungsrunden eng getaktet sind.

Beim derzeit wichtigsten handelspolitischen Thema geht ohne die USA allerdings nichts: bei der WTO-Reform. Hier blockieren die USA die Nachbesetzung von Richtern am WTO-Berufungsgericht. Schon im Herbst könnte das Gericht daher nicht mehr genügend Richter haben, um Entscheidungen zu treffen. Aus Sicht der scheidenden EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström wären die Folgen dramatisch: „Der internationale Handel ohne die WTO wäre anarchisch.“ [6] mic

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[1] Marcus Noland, Juni 2019: Protectionism under Trump: The China Shock, Intolerance, and the “First White President” (PDF)

[2] Foreign Policy, 03.07.2019: While Trump Isolates the U.S., It’s ‘Let’s Make a Deal’ for the Rest of the World

[3] Europäischer Rat, 22.05.2018: New approach on negotiating and concluding EU trade agreements adopted by Council

[4] EU, 26.10.2012: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (PDF)

[5] Japan Times, 28.06.2019: Ball in U.S. court to start trade talks, top EU commissioner says

[6] GHY, 11.01.2019: EU Trade Commissioner Warns of International ‘Anarchy’ Without WTO