Hauptsache der Strom fällt nicht aus

China, Indien und die Asean Staaten müssen ihre Stromerzeugungskapazitäten massiv ausbauen

Während in Europa der Energieverbrauch sinkt, steigt er in Asien rasant. Der Einsatz von erneuerbaren Energien ist da weniger der Sorge ums Klima geschuldet sondern ein Ansatz um die Energiesicherheit zu erhöhen. Dezentrale Anlagen bieten ausserdem die Chance Millionen von Menschen Zugang zu Strom zu verschaffen, die bislang keinen Netzanschluss haben.

Ende Juli fiel in Nordindien der Strom aus. Betroffen waren 350 Millionen Menschen, fünf Prozent der Weltbevölkerung. Aber auch im Rest Indiens brannten vielerorts keine Lichter: Ein Viertel der Inder hat keinen Stromanschluss. Das schlägt sich im Pro-Kopf Stromverbrauch nieder: Ein Inder verbraucht weniger als ein Zehntel soviel Strom wie ein Deutscher. Gleichzeitig wächst die Wirtschaft rasant, dieses Jahr mit 6,5 Prozent. Damit es dabei bleibt und irgendwann alle einen Stromanschluss haben, braucht es Energie, sehr viel Energie. Ähnlich sieht es in China und den Staaten Südostasiens aus. Überall herrscht die Sorge, dass die Energieversorgung nicht mit der schnell wachsenden Nachfrage mithalten kann und das Wirtschaftswachstum durch Stromausfälle beeinträchtigt wird. Hinzu kommt die Versorgungssicherheit. Während einige Länder wie Indonesien über nennenswerte Öl, Gas und Kohlevorkommen verfügen, müssen die meisten ihre Energieträger importieren. Das ist nicht nur teuer sondern auch ein sicherheitspolitisches Problem. Vor Somalia und in der Malakkastrasse lauern Piraten und bei einer Krise könnte letztere für Tanker unter feindlicher Flagge gar ganz gesperrt werden. Daher sollte „die Energieversorgung dort sein, wo man seinen Fuss draufsetzen kann“ sagt der chinesische Energiespezialisten Li Junfeng. Abgesehen von Kohle und Atom, erfüllen vor allem die erneuerbaren Energien diese Bedingung. Hinzu kommt das wachsende Umweltbewusstsein der Chinesen: Gemäss einer Gallup Umfrage finden 57 Prozent der Chinesen Umweltschutz wichtiger als Wirtschaftswachstum und lassen dies die Regierung auch wissen: Letzten Dezember haben sich die Bewohner von Haimen in der Guangdong Provinz Strassenschlachten mit der Polizei geliefert, um den Bau eines Kohlekraftwerks zu verhindern. Und schliesslich gibt es noch einen ganz profanen Grund für Asiens Interesse an erneuerbaren Energien: Industriepolitik. Die Länder Asiens wollen sich vom schnell wachsenden Markt für saubere Energie einen möglichst grossen Anteil sichern. Dass die vermehrte Nutzung erneuerbarer Energien ausserdem dem Klima nützt, ist da höchstens eine positiver Nebeneffekt.

Aber auch wenn der Klimaschutz nicht das wichtigste Ziel ist, können sich die Anstrengungen von Ländern wie China und Indien sehen lassen. China produziert bereits heute mehr erneuerbare Energie als jedes andere Land der Welt. (Indien liegt auf Platz fünf.) Und die Ausbaupläne sind ehrgeizig:  So soll die Windkraft bis Ende 2015 auf 100 GW Leistung mehr als verdoppelt und die Photovoltaik auf 21 GW Leistung gar mehr als versiebenfacht werden. Damit dieses Ziel erreicht wird, gibt es nun auch in China einen Einspeisevergütung für Solarstrom. Da sind die Ausbaupläne für Wasserkraft geradezu bescheiden: Diese soll bis 2015 um 42 Prozent auf dann 300 GW Leistung erhöht werden. Zusätzlich setzt China beim Energieverbrauch an: Das Land ist mit grossem Abstand führend bei solarthermischen Anlagen für die Heisswasseraufbereitung, hat striktere Emissionsrichtlinien für Autos und Elektrogeräte als die USA und führt wiederum bei Elektrofahrrädern. Nicht zuletzt aus industriepolitischen Gründen wird ausserdem der Spitzenplatz bei Elektrofahrzeugen angestrebt. Um den Umbau zu einer grünen Wirtschaft zu steuern, will China ausserdem ein Emissionshandelssystem einführen. Bereits nächstes Jahr soll der Emissionshandel in fünf Städten und zwei Provinzen erprobt werden. Doch dies ist erst der Anfang: Nur zwei Jahre nach Beginn der Pilotversuche soll der Emissionshandel auf ganz China ausgedehnt werden.

Die grösste Auswirkung aufs Klima hat aber nicht die Produktion von erneuerbaren Energien in China selbst, sondern der Chinaeffekt bei den Preisen von Solaranlagen und Windrädern. Zum Leidwesen der deutschen Produzenten von Solarpaneelen ist deren Preis mittlerweile auf unter einen Dollar pro Watt gefallen. Wegen des Überangebots forciert Peking nun den Ausbau der Photovoltaik in China. Ähnlich sieht es bei Windrädern aus: Wegen Überkapazitäten der Industrie fallen die Preise. Damit können sich immer mehr Länder den Einsatz von erneuerbaren Energien leisten und die Netzparität, also der Punkt wo Erneuerbare auch ohne Subventionen billiger als herkömmliche Energien sind, rückt näher. Kurz, die grosszügigen Einspeisevergütungen in Europa kombiniert mit den günstigen Produktionskosten in China haben den gewünschten Effekt: Dank Massenproduktion rückt die Netzparität näher.

Einer der Nutzniesser dieser Entwicklung wird Indien sein, insbesondere die gut 300 Millionen Inder ohne Stromanschluss. Da es zu teuer wäre alle Dörfer ans Stromnetz anzuschliessen, setzt die indische Regierung auf dezentrale Erzeugung von Solarstrom. Oft in Zusammenarbeit mit lokalen Kleinunternehmern und Mikrokreditbanken konnten so Millionen von Solaranlagen installiert werden. Hinzu kommt ein ehrgeiziges Programm für den Ausbau solarthermischer Anlagen für die Heisswasseraufbereitung. Dies dürfte auch zulasten einer anderen, „erneuerbaren“ Energieform gehen: Feuerholz und Dung. 72 Prozent der Inder kochen über offenem Feuer. Dies hat zwei Nachteile: Zum einen ist Feuerholz in vielen Teilen Indiens nicht in ausreichendem Mass vorhanden und diese „erneuerbare“ Energieform erneuert sich nicht schnell genug. Und zum anderen produzieren offene Kochstellen Rauch, sodass die Luftqualität in Häusern insbesondere für Kinder oftmals lebensbedrohlich ist. Mit verbesserten Kochherden hofft die indische Regierung 17 Prozent der vorzeitigen Todesfälle vermeiden zu können. Weitere Technologien um Indiens Bauern Zugang zu Strom zu verschaffen sind ausserdem Mini- und Mikrohydro, also sehr kleine Wasserkraftwerke, die gerade genug Strom für ein Dorf produzieren. Damit ist Indien ein gutes Beispiel für die doppelte Herausforderung vor der viele Entwicklungsländer stehen: Zum einen müssen sie die Stromproduktion massiv steigern damit in den Ballungszentren das Licht nicht ausgeht und zum anderen müssen sie dafür sorgen, dass in ländlichen Gebieten zum ersten Mal überhaupt ein Licht brennt. Erneuerbare Energien helfen bei beidem, vorausgesetzt die Menschen können sich diese auch leisten. Aber dafür haben wir ja den Chinaeffeffekt. mic

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