Das Kapitel Nummer 30

Am Samstag haben Geheimverhandlungen über eine transpazifische Freihandelszone begonnen

Rund um den pazifischen Ozean soll eine Freihandelszone entstehen – unter Ausschluss Chinas. Die Verhandlungen über die Trans-Pazifische Partnerschaft TPP gelten als die ökonomische Dimension von Amerikas ‚Hinwendung zu Asien‘.

Das am Samstag Morgen verabschiedete ‚Bali Paket‘ der Welthandelsorganisation WTO hat vier Kapitel zu Handelserleichterungen. Die ebenfalls am Samstag begonnenen Verhandlungen über eine transpazifische Freihandelszone TPP (von Trans-Pazifische Partnerschaft) hat 29 Kapitel. Diese Relation zeigt wie ehrgeizig die beiden Verhandlungen sind. Bei den WTO Verhandlungen ging es vor Allem um den Abbau von Zollformalitäten – ein wenig umstrittenes Thema. Bei den TPP Verhandlungen hingegen geht es um eine riesige Palette an handelsrelevanten Regeln: Angefangen bei Agrarfragen über das öffentliche Beschaffungswesen bis hin zu Zollsätzen. Folglich sind auch sehr viel mehr Interessengruppen von den TPP Verhandlungen betroffen. Aus diesem Grund sind die TPP Verhandlungen auch nicht öffentlich, sondern geheim – so geheim, dass bereits die Parlamente mehrer Länder mehr Transparenz eingefordert haben.

An den TPP Verhandlungen nehmen zwölf Pazifikanrainer teil: Die USA, Mexiko und Kanada, Australien, Neuseeland, Japan und dann Brunei, Malaysia, Singapur, Vietnam sowie Chile und Peru. Wichtiger als wer mitmacht ist aber, wer nicht mitmacht: China. Das ist kein Zufall. Zusammen mit den dieses Jahr begonnen Verhandlungen über eine Freihandelszone zwischen den USA und der EU, sind die TPP Verhandlungen der Versuch der westlichen Welt, die Handelsregeln für das 21. Jahrhundert festzuzurren. Ob das gelingt ist allerdings unklar. Eigentlich hätten die TPP Verhandlungen schon Ende 2012 abgeschlossen werden sollen. Jetzt lautet die Frist Ende 2013. Doch auch dieses Ziel ist zu ehrgeizig, glaubt Deborah Elms von der Temasek Stiftung in Singapur: „Wenn man sieht, wie wenig die USA bereit sind, von ihren roten Linien abzurücken“ dürfte es März 2014 werden, bis der Deal steht.

Aber selbst dann ist unklar, ob TPP umgesetzt wird. Denn nach Abschluss der Verhandlungen wird der Text öffentlich. Wie brisant einige der Themen sind, zeigt das einzige Kapitel, das bislang in die Öffentlichkeit gelangt ist. Die Enthüllungsplatform Wikileaks hat das Kapitel über den Schutz des geistigen Eigentums veröffentlicht. Hier fordern die USA etwa, dass das Urheberrecht um 20 Jahre verlängert wird. Statt 50 Jahre nach dem Tod des Autors wie weltweit üblich, will Washington, dass Bücher und andere Werke erst 70 Jahre nach dem Tod des Autors in den Besitz der Allgemeinheit übergehen. Ausserdem verlangt die US-Regierung, dass potentiellen Raubkopierern ohne Gerichtsbeschluss der Internetzugang gesperrt werden kann. Dies sind Forderungen, die noch nicht mal im US-Kongress mehrheitsfähig sind. Ähnliche Ideen waren Teil des Gesetzes gegen Raukopierer, das im US-Parlament gescheitert ist. Julian Assange, der Chef von Wikileaks, macht seine Opposition denn auch deutlich: „Wenn du liest, schreibst, hörst, tanzt oder singst, dann hat dich die TPP im Fadenkreuz.“

Gegen eine schnelle Verabschiedung der neuen Freihandelszone spricht ausserdem, dass sich der US-Kongress weigert, Präsident Barack Obama die sogenannte ‚fast track‘ Autorität zu erteilen. Damit könnte Obama vermeiden, dass der Kongress den fertig ausgehandelten Vertrag nachträglich noch in einzelnen Punkten ändert. Hohe Hürden warten auf den Vertrag aber auch in Japan. Zum einen wird Tokio nicht umhin kommen, den Schutz der einheimischen Autoindustrie zu lockern. Zum anderen geht es aber auch um Landwirtschaft. Hier ist die japanische Regierung allerdings bereits in Vorlage gegangen, um guten Willen zu demonstrieren: Das als ‚Gentan‘ bekannte System, in dem Bauern dafür bezahlt werden keinen Reis anzubauen, wird abgeschafft. In der Folge dürfte sich der Reispreis in Japan halbieren und die Regierung erhält Spielraum den Zoll auf Reis von 777 Prozent zu senken. Grosse Veränderungen dürfte die TPP aber auch für Vietnam bringen. In der kommunistischen Diktatur spielen Staatsbetriebe immer noch eine grosse Rolle. Hier soll das relevante TPP Kapitel für gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen Staatsbetrieben und privaten Firmen sorgen. Gegenwehr kommt aber auch von humanitären Organisationen. Für Ärzte ohne Grenzen, eine Nichtregierungsorganisation, ist TPP schlicht „der schädlichste Handelsvertrag aller Zeiten“ wenn es um den Zugang zu Medikamenten geht. Die USA wollen den Patentschutz für Arzneimittel verlängern, was die Herstellung von günstigeren Nachahmerpräparaten behindert.

Die stolze Phalanx der TPP Gegner zeigt aber vor Allem eins: Das Handelsabkommen deckt die wirklich heiklen Themen ab. „Für mich ist es keine Überraschung, dass die Verhandlungen so lange dauern. Man verlangt hier von den Ländern, dass sie sich mit Dingen befassen, die extrem sensitiv sind, die tief in die Politik eingreifen und das ist schwierig.“ sagt Deborah Elms. Aber bei der TPP geht es nicht nur um Handel. Für viele Länder, etwa Japan, werden schliesslich geostrategische Überlegungen den Ausschlag geben, wenn es darum geht den TPP Vertrag zu verabschieden. Die Freihandelszone gilt als der ökonomische Teil von Amerikas Hinwendung zu Asien, dem ‚pivot to Asia‘. Bislang hatte die Abkehr des US-Fokus von Europa und dem Mittleren Osten und der Hinwendung zu Asien vor Allem eine militärische Dimension. Die USA haben Verteidigungsabkommen mit Japan und den Phillippinen, zwei Länder die derzeit in Gebietsstreitigkeiten mit China verwickelt sind. Ausserdem sind seit neuestem US-Marineboote in Singapur und US-Marineinfanteristen in Australien stationiert. Diese Verlagerung des militärisch-strategischen Augenmerks soll nun durch eine wirtschaftliche Komponente ergänzt werden, die TPP. Länder wie Japan oder Vietnam stehen daher vor der Wahl, den Schutzschirm für die einheimische Industrie zu lockern, um eher vom militärischen Schutzschirm der USA profitieren zu können. Das ist quasi das Kapitel Nummer 30. mic

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Dann abonnieren Sie doch weltinnenpolitik.net per RSS