Ende einer Ära im Welthandel

Das Zeitalter grosser, multilateraler Handelsverträge ist vorerst vorbei

Mit einer weiteren Liberalisierung des Welthandels könnte weltweit das Wachstum angekurbelt werden. Trotzdem ist die WTO Doha Runde de facto tot, und regionale Handelsabkommen stehen hoch im Kurs. Für die WTO bleiben da vor allem sektorspezifische Abkommen mit wenigen Teilnehmern.

Früher waren globale Handelsabkommen noch relativ einfach zu verhandeln: Sie waren „im Grunde ein Übereinkommen zwischen der EU und den USA, dem sich der Rest der Welt dann anschliessen konnte“, [1] sagt Edward Alden vom Council on Foreign Relations, einem US Think Tank. Doch diese Methode funktioniert nicht mehr wie die mittlerweile zwölfjährige Doha Runde der Welthandelsorganisation WTO zeigt. Eigentlich hätte die Doha Runde insbesondere die Beteiligung von Entwicklungsländern am Welthandel erleichtern sollen. Doch mit Beginn der Doha Runde im Jahr 2001 wurde auch das grösste ‚Entwicklungsland‘ der Welt, China, in die WTO aufgenommen und seither integrieren sich die Entwicklungsländer auch ohne Doha Runde überaus erfolgreich in die Weltwirtschaft: So hat sich der Anteil von China an den weltweiten Exporten in den letzten zwölf Jahren von vier auf zwölf Prozent verdreifacht (siehe Grafik). Insgesamt machen die Entwicklungsländer mittlerweile mehr als die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung und des Welthandels aus. [2]

Chinas Anteil an den globalen Exporten [3]
Chinas Anteil an den globalen Exporten

Damit ist die Zeit vorbei, in der sich der EU-US Handel im Rahmen der WTO koordinieren liess. Der beste Beweis ist der Beginn der Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP, ein bilaterales Abkommen zwischen der EU und den USA. Diese Verhandlungen seien der „letzte Nagel im Sarg des alten, multilateralen Handelssystems“ sagt Alden [1]. Doch das transatlantische Handelsabkommen ist nicht der einzige ‚mega-regionale‘ Deal, der derzeit ausserhalb der WTO verhandelt wird: Die USA hoffen noch dieses Jahr die Verhandlungen über die Transpazifische Partnerschaft TPP abschliessen zu können. Derzeit wollen sich zwölf Länder an der TPP beteiligen: die USA, Kanada und Mexiko sowie Australien und einige südostasiatische Länder. Seit März diesen Jahres ist ausserdem Japan dabei, wo der Sieg von Premierminister Shinzo Abe in den Oberhauswahlen vor zwei Wochen unter anderem als Mandat für einen TPP Beitritt interpretiert wird. Gleichzeitig versucht die WTO zumindest einige Teile der Doha Runde zu retten: Im Dezember soll in Bali, Indonesien, ein Miniabkommen über technische Handelserleichterungen wie Zollformalitäten abgeschlossen werden.

Wie es dann weitergehen soll ist noch weitgehend unklar. Dies liegt nicht zuletzt am Führungswechsel in der WTO: Per Ende August tritt der Franzose Pascal Lamy als WTO Chef zurück und wird durch den brasilianischen Diplomaten Roberto Carvalho de Azevêdo ersetzt. Dieser sagt: „Wir müssen mit dem, was wir vorher gemacht haben, brechen, aber in einer Art und Weise die für das (WTO) System sinnvoll ist.“ [4] Wie er sich diesen Bruch vorstellt, sagt de Azevêdo aber noch nicht. Ein besonderes Anliegen dürfte ihm aber die bessere Integration von kleinen Entwicklungsländern in den Welthandel sein: „Das Problem ist, dass es eine grosse Zahl Entwicklungsländer gibt, vor allem kleine und mittelgrosse, die noch keinen Weg gefunden haben, sich in die Dynamik der globalen Produktion zu integrieren.“ Erschwerend dürfte hier hinzukommen, dass die Weltwirtschaft in Zukunft tendenziell langsamer wächst als im letzten Jahrzehnt, wie die Zeitschrift The Economist vermutet: „Die Weltwirtschaft wird wahrscheinlich nicht schneller wachsen als mit den langweiligen drei Prozent wie im Moment.“ [5] Umgekehrt könnte „Die Grosse Entschleunigung“ (Economist) den Ländern aber auch Anreiz sein, es doch nochmal mit einer grossen, multilateralen Welthandelsrunde zu versuchen. Schliesslich ist eine Liberalisierung des Handels eine der billigsten und sichersten Methoden, um das Wachstum anzukurbeln.

Bis es soweit ist, muss sich die WTO mit sogenannten plurilateralen Verhandlungen begnügen. An diesen ist nur ein Teil der WTO Mitglieder beteiligt, Länder, die ein besonderes Interesse an einer Liberalisierung in einem bestimmten Sektor haben. Im Gegensatz zu multilateralen Verhandlungen, bei denen alle WTO Mitglieder mitreden und ein Vetorecht besitzen, können hier einfacher Erfolge erzielt werden. So hofft Lamy noch dieses Jahr eine Erweiterung des Abkommens über Produkte der Informationstechnologie abschliessen zu können. Ausserdem steht die Aufnahme von Verhandlungen über ein Internationales Dienstleistungsabkommen kurz bevor. Eine Gruppe aus 21 Ländern wollen hier neue Standards setzen. Mit von der Partie sind in Europa die EU, die Schweiz, Norwegen, Island und die Türkei. Auf der anderen Seite des Atlantiks machen die USA, Kanada und Mexiko sowie die liberalen Länder Südamerikas mit (Chile, Costa Rica, Kolumbien, Panama und Peru). Und aus Asien sind Japan, Südkorea, Taiwan, Hong Kong, Israel und Pakistan sowie Australien und Neuseeland dabei. Diese Länder hoffen im kleinen Kreis Fortschritte erzielen zu können, da Dienstleistungen in der Doha Runde eine geringe Priorität genossen: Die grossen Entwicklungsländer wollten dort erst über Landwirtschaft dann über Industriegüter und erst ganz zum Schluss über Dienstleistungen reden. Folglich machen Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien vorerst auch nicht mit. Zumindest Indien könnte aber später noch dazu stossen, meint Alden: „Es ist anzunehmen, dass Länder wie Indien, die in einigen Dienstleistungsbereichen wettbewerbsfähig sind, doch noch mitmachen wollen, wenn die Verhandlungen weiter fortgeschritten sind.“ Und so besteht die Hoffnung, dass die Ergebnisse dieser plurilateralen Verhandlungen nach und nach multilateralisiert werden. mic

Der ultimative Insider

Roberto de Azevêdo
Roberto Carvalho de Azevêdo

Am 1. September übernimmt der Brasilianer Roberto Carvalho de Azevêdo die Leitung der Welthandelsorganisation WTO. Er galt als der Kandidat der Entwicklungsländer, im Gegensatz zum ehemaligen mexikanischen Handelsminister Herminio Blanco, der von den meisten Industriestaaten unterstützt wurde. Wichtiger noch ist aber de Azevêdo beruflicher Werdegang: Er ist seit über 15 Jahren bei den WTO Verhandlungen als Vertreter Brasiliens dabei. Er sagt von sich selbst: „Ich habe den Multilateralismus in den Genen. Ich atme dieses System (die WTO). Ich arbeite in diesem System und ich glaube an dieses System.“ [4] Dabei ist ihm klar, wie heikel die Arbeit der WTO ist: „In der WTO ist es immer sehr spezifische, präzise Chirurgie und man darf das Ziel nicht verfehlen. Wenn man es verfehlt, tötet man den Patienten. So einfach ist das.“ [4] Ob er das Ziel erreicht zeigt sich zum ersten Mal im Dezember in Bali, Indonesien. Dann soll ein Abkommen über technische Handelserleichterungen wie Zollformalitäten beschlossen werden. mic

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[1] World Politics Review, 13.03.2013: US-EU FTA Talks Chart a New Path for Global Trade

[2] Pascal Lamy in WTO, 24.07.2013: Together, we have strengthened the WTO as the global trade body

[3] Bildquelle: Ron Rimkus in Enterprising Investor, 04.06.2012

[4] The Guardian, 03.05.2013: Roberto Azevêdo says that the WTO ‘needs a fresh perspective from inside’

[5] The Economist, 27.07.2013: The Great Deceleration

[6] Bildquelle: Wikipedia