In Afghanistan ist ein Drittel der Bevölkerung auf Hilfslieferungen angewiesen

Die Dürre dürfte ausgerechnet die Opiumproduktion ankurbeln

Die Lebensverhältnisse der Menschen in Afghanistan haben sich in den letzten 20 Jahren deutlich verbessert. Doch die Struktur der Wirtschaft ist weitgehend gleich geblieben: Das Land produziert Agrarprodukte, Opium und Bodenschätze. Außerdem bekommt es sehr viele ausländische Hilfsgelder.

Die gute Nachricht vorweg: Die UNO und Organisationen wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz können ihre humanitäre Arbeit trotz der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan fortsetzen. Der UN Koordinator für humanitäre Fragen, Ramiz Alakbarov, sagte: “Der humanitäre Arm der Vereinten Nationen arbeitet seit über 18 Jahren mit den Taliban zusammen, und wir haben nie aufgehört, mit den Taliban zu arbeiten. Wir sind dabei, neue Sicherheitsgarantien zu beantragen. Und wir haben diese Garantien erhalten.” [1] Das ist wichtig, denn Afghanistan stünden selbst ohne die Taliban schwierige Monate bevor. Das Land wird derzeit von der zweiten Dürre in vier Jahren heimgesucht.

Das Welternährungsprogramm WFP schätzt, dass 14 der 40 Millionen Afghanen dieses Jahr auf Lebensmittelhilfen angewiesen sind. Genug Geld hat WFP dafür allerdings nicht. Der chronisch unterfinanzierten Organisation fehlen bis Ende 2021 noch 200 Millionen Dollar. [2] Alakbarov schätzt zudem, dass dieses Jahr bereits 600.000 Afghanen ihre Heimatdörfer verlassen haben: „Man hat eine Kombination von Vertreibung durch Krieg und militärische Feindseligkeiten mit Vertreibung durch Dürre und schwierige wirtschaftliche Bedingungen.” [1] Die Dürre ist kein Überraschung: Gemäß dem Climate Security Expert Network (SCEN) nehmen wegen des Klimawandels in Afghanistan sowohl Dürren als auch Starkregenereignisse zu. [3]

Bald. Schon in wenigen Wochen wird Schnee Hilfslieferungen in Afghanistan massiv erschweren. (Foto: WFP)

Profitieren könnte davon ausgerechnet die Opiumproduktion. Schlafmohn, aus dem Opium gewonnen wird, ist eine dürreresistente und sehr genügsame Pflanze. SCEN schreibt in seiner Analyse Afghanistans: „Wenn der Anbau alternativer Kulturen schwieriger wird, wird der Mohnanbau für viele Landwirte in ländlichen Gebieten immer attraktiver.“ [4 s. S. 15] Das wiederum beeinträchtige die Sicherheitslage: „Diese Bedingungen sind ein Nährboden für kriminelle Organisationen und terroristische Gruppen, indem sie Anreize schaffen, die Kontrolle der Regierung in den Drogenanbaugebieten zurückzudrängen und die Korruption unter den Regierungsangestellten fördern.“

Genau davon haben auch die Taliban vor ihrer Machtübernahme profitiert. Dem Radiosender Radio Free Europe liegt ein vertraulicher Bericht der Nato über die Finanzlage der Taliban vor. [5] Diese haben in den zwölf Monaten bis März 2020 Einnahmen von 1,6 Milliarden US-Dollar verbucht. Opium war mit 416 Millionen die zweitwichtigste Einnahmequelle nach der Besteuerung des Abbaus von Bodenschätzen wie Kohle und Edelsteinen mit 464 Millionen. Für eine Rebellenarmee sind das beachtliche Einnahmen und gewähren den Taliban „finanzielle und militärische Unabhängigkeit“, wie der Nato-Bericht anerkennend feststellt. Um ein Land mit 40 Millionen Einwohnern zu verwalten, sind 1,6 Milliarden allerdings eher wenig: nämlich 40 Dollar pro Kopf.

Entscheidend für die weitere wirtschaftliche Entwicklung Afghanistan wird die Höhe der ausländischen Hilfsgelder sein, die in das Land fließen. Im Jahr 2020 machten diese zwei Fünftel der (legalen) Wirtschaftsleistung des Landes aus, wie die Weltbank ausgerechnet hat. [6] Während weiter humanitäre Hilfe geleistet werden dürfte, ist das bei der langfristig angelegten Entwicklungshilfe weniger sicher. Nicht nur wegen der Dürre dürfte eine Taliban-geführte Regierung daher zumindest kurzfristig weiter auf die bewährten Einnahmequellen setzen: Kohle und Heroin. mic

Auch Dürre in Syrien und im Irak

Syrien leidet derzeit unter der schwersten Dürre in 70 Jahren. Das Welternährungsprogramm WFP schätzt, dass dort 12 Millionen Menschen an Nahrungsmittelknappheit leiden. Außerdem gibt es gut sechs Millionen intern Vertriebene wegen des nunmehr zehnjährigen Bürgerkriegs, dessen Ausbruch ebenfalls eine Dürre vorausgegangen war. [7] In Syrien fehlen dem WFP noch 444 Millionen Dollar für die nächsten sechs Monate. [8] Im Irak sieht es etwas besser aus. 2,4 Millionen Menschen brauchen Hilfe und 1,2 Millionen sind intern vertrieben. [9] Hier fällt die Finanzierungslücke denn auch geringer aus. Das WFP braucht hier nur zusätzliche 13 Millionen Dollar. [10] “Der totale Zusammenbruch der Wasser- und Nahrungsmittelproduktion für Millionen von Syrern und Irakern steht unmittelbar bevor”, sagt Carsten Hansen, Regionaldirektor des Hilfsorganisation Norwegian Refugee Council. [11] mic

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[1] Reuters, 17.08.2021: UN aid chief in Afghanistan warns of hunger caused by drought

[2] WFP, Stand 01.09.2021: Afghanistan

[3] SCEN, September 2019: Climate-Fragility Risk Factsheet (PDF)

[4] SCEN, Oktober 2019: Climate-Fragility Risk Brief (PDF)

[5] RFERL, 16.09.2020: Taliban’s Expanding ‘Financial Power’ Could Make It ‘Impervious’ To Pressure, Confidential Report Warns

[6] FT, 22.08.2021: The Afghanistan economy in charts: what has changed in two decades?

[7] WFP, Stand 01.09.2021: Syrian Arab Republic

[8] WFP, Juli 2021: WFP Syria Country Brief (PDF)

[9] WFP, Stand 01.09.2021: Iraq

[10] WFP, Juli 2021: WFP Iraq Country Brief (PDF)

[11] alJayeera, 23.08.2021: Water crisis and drought threaten 12 million in Syria, Iraq