Microsoft manipuliert ISO-Abstimmung

Unregelmässigkeiten auch in Schweizer Normenkommission

Microsoft versucht mit Committee Stacking, dem Auffüllen eines Komitees mit eigenen Leuten, die Entscheidung über OOXML für sich zu entscheiden.

Wer schon mal mit einem dreipoligen Schweizer Stecker im Ausland war, kennt den Nutzen von Standards. Standards sollen dafür sorgen, dass Produkte unterschiedlicher Hersteller aus verschiedenen Ländern miteinander kombiniert werden können. Im Fall von digitalen Dokumenten legt der Standard fest, wie die Beschreibung des Layouts zum Beispiel codiert sein muss.

Der Ritterschlag für einen Standard oder eine Norm ist die Anerkennung durch die International Standardisation Organisation (ISO). Wie in oben stehendem Beitrag erwähnt, existiert ein ISO-Standard für digitale Dokumente, das Open Document Format (ODF). Microsoft versucht einen weiteren Standard von der ISO absegnen zu lassen: das Open-XML-Format (OOXML).

Stimmberechtigt in der ISO sind die Mitgliedsländer, u. a. die Schweiz. Wie die Schweiz abstimmt, entscheidet eine Kommission des Schweizer Normenverbands (SNV), in der jeder Einsitz nehmen kann, der sich für das Thema interessiert. In der Regel werden Entscheidungen im Konsens getroffen, sagt Urs Fischer, stellvertretender Geschäftsleiter des SNV.

Im Fall von OOXML ist dies aber nicht möglich, da sich zwei Lager – Microsoft und die Open-Source-Gemeinde – unversöhnlich gegenüberstehen. Microsoft steht auf dem Standpunkt, OOXML erfülle alle Voraussetzungen für die ISO-Anerkennung. Die Open-Source-Gemeinde hingegen argumentiert, dass kein weiterer Standard neben ODF erforderlich sei, OOXML technische Mängel aufweise und nicht wirklich offen sei, da er von Microsoft patentierte Technologien enthält.

Eine Entscheidung im Konsens ist also nicht möglich, und am 2. August dieses Jahres erfolgte eine Konsultativabstimmung. Zu dieser Zeit hatte das Komitee 23 Mitglieder, 13 Befürworter und zehn Gegner von OOXML. Noch verfehlt das Microsoft-Format also die erforderliche Dreiviertel-Mehrheit. Doch die fragliche SNV- Kommission erfreut sich wachsender Popularität. In den folgenden Wochen treten 34 weitere Mitglieder der Kommission bei, 30 OOXML Befürworter und vier Gegner.

Aufgrund von Hinweisen von Microsoft-Partnern könne angenommen werden, dass die IAMCP (International Association of Certified Microsoft Partners) ihre 45 Schweizer Mitglieder aufgefordert habe, der Kommission beizutreten, erklärt Matthias Stürmer, Vorstandsmitglied von /ch/open.

Am 25. September fand erneut eine Abstimmung statt. Diesmal stimmen 43 Kommissionsmitglieder für OOXML und 14 dagegen. Microsoft hat gewonnen und die Schweiz stimmt bei der ISO für OOXML. Zum Zustandekommen dieser Entscheidung möchte Microsoft «keinen weiteren Kommentar» mehr abgeben.

«Unsere Reglemente wurden in der Vergangenheit nie so ausgereizt, wie dies im Fall von OOXML durch die Interessenten geschehen ist», sagt Urs Fischer. «In anderen Ländern wurde zum Teil dasselbe konstatiert. Das sogenannte Committee Stacking, das Auffüllen von Komitees mit Gleichgesinnten, stellt den Normungsprozess vor ein Problem.»

Die Schweiz ist kein Einzelfall. Auf der Internetseite von NoOOXML.org sind Unregelmässigkeiten in 18 Ländern beschrieben. In Italien etwa wuchs die fragliche Komission von fünf auf 83 Mitglieder und in Schweden, wo Microsoft seinen Partnern gar versprochen hatte, die Mitgliedschaftsgebühren zu übernehmen, von 12 auf 35. Genutzt hat es dennoch nichts. Die ISO hat den Microsoft-Antrag, OOXML im Schnellverfahren zum Standard zu erklären, knapp abgelehnt.

Das verantwortliche ISO-Komitee ist mittlerweile quasi beschlussunfähig. Kurz vor der OOXML-Abstimmung waren elf Länder neu als Mitglieder und 23 als Beobachter (mit geringerem Stimmrecht) der Kommission beigetreten. Gemäss ISO-Reglement muss die Hälfte aller Kommissionsmitglieder abstimmen, damit eine Entscheidung gilt. Länder wie Kasachstan, Kenia, Libanon oder Trinidad und Tobago scheinen aber kein übermässiges Interesse an Software-Normierung zu haben, und haben sich seit der OOXML-Abstimmung an keiner weiteren Abstimmung mehr beteiligt.

Das 50%-Quorum konnte so nicht mehr erreicht werden. Die Komission SC34 ist lahmgelegt. Zur endgültigen Abstimmung über OOXML am 28. Februar 2008 dürfte das Interesse an der Normenarbeit wohl aber wieder zunehmen. Dann wird sich zeigen, ob man einen ISO-Standard kaufen kann. mic

Aus der Basler Zeitung vom 29.10.2008