Angst vor Rüstungswettlauf in Asien wächst

Chinas Aufstieg macht eine neue Sicherheitsarchitektur in Asien erforderlich

Bislang haben die USA in Asien für Frieden und Sicherheit gesorgt. Doch nun ist eine neue sicherheitspolitische Balance erforderlich, die China mitberücksichtigt. Und solange diese nicht besteht werden die Länder Asiens wohl weiter aufrüsten.

Indien erhöht seine Verteidigungsausgaben dieses Jahr um knapp 18 Prozent und China um gut 11 Prozent. Damit steigen die Militärbudgets deutlich stärker als als das BIP der beiden asiatischen Giganten. Aber auch die Länder in Südostasien lassen sich nicht lumpen: Letztes Jahr sind dort die Verteidigungshaushalte um knapp 14 Prozent gestiegen. Insgesamt wird Asien dieses Jahr zum ersten Mal mehr Geld für seine Armeen ausgeben als Europa und die Befürchtungen nehmen zu, dass die Länder Asiens am Beginn eines Rüstungswettlaufes stehen. So warnt Herman van Rompuy, der Präsident des Europäischen Rates: „Hinsichtlich Militärausgaben und konfrontativer Psychologie, sind die Voraussetzungen für ein Wettrüsten (in Asien) gegeben.“

Grund genug haben die Länder Asiens für die Erhöhung der Militärausgaben: Selbst wenn man vom Mittleren Osten absieht, ist der Kontinent voller internationaler und interner Konflikte. In Afghanistan herrscht seit 1979 Krieg mit wechselnder ausländischer Beteiligung. Pakistan beansprucht Teile Indiens und umgekehrt. China hat Gebietsansprüche gegenüber Indien, Vietnam, den Philippinen, Malaysia, Brunei und Japan. Ausserdem betrachtet es Taiwan als abtrünnige Provinz. Die beiden Koreas befinden sich technisch noch immer im Kriegszustand, und Nordkorea steht kurz vor einem Raketentest. Thailand und Kambodscha haben sich letztes Jahr Artilleriegefechte geliefert. Und selbst die US-Alliierten Taiwan, Südkorea und Japan können sich nicht auf den Verlauf ihrer Seegrenze einigen. Hinzu kommen interne Konflikte in Pakistan, Indien, Burma, Thailand, Indonesien und den Philippinen. Kurz, kaum ein Land Asiens lebt in Frieden mit sich und seinen Nachbarn.

Die ausgleichende Macht in diesem Pulverfass sind derweil die USA: Die amerikanische Pazifik Flotte umfasst sechs Flugzeugträger, 2000 Kampfflugzeuge und 125‘000 Soldaten. Amerika hat offizielle Beistandspakte mit Japan, Südkorea und den Philippinen. Ausserdem haben die USA bislang stets Unterstützung für Taiwan signalisiert, wenn die Spannungen zwischen den beiden Chinas zu eskalieren drohten. Und nachdem China ohne Rücksicht auf internationales Recht Anspruch auf das gesamte südchinesische Meer erhoben hat, gilt auch hier die Freiheit der Schifffahrt als nationales Interesse der USA. Dabei lässt es Washington nicht mit Worten bewenden: In Zukunft werden US Spezialkräfte in Australien stationiert und Kriegsschiffe in Singapur. Ausserdem investiert Obama knapp zehn Milliarden Euro in den Ausbau der US Basis auf Guam (1). Hinzu kommen die Ausgaben von Amerikas „Hilfssherrif“ im Pazifik: Australien will in den nächsten 20 Jahren für 280 Milliarden Dollar neue Waffen kaufen, die stärkste Aufrüstung seit dem Zweiten Weltkrieg (2). Und um die Gefahr der nordkoreanischen Atomraketen zu neutralisieren, diskutieren die USA derzeit mit Japan, Südkorea und Australien den Aufbau von Raketenschirmen (3). Bei all diesen Aktivitäten geniesst die Supermacht das Wohlwollen der kleineren Länder Asiens. So sagt Lee Kuan Yew, der Gründervater von Singapur: „China ist so gross, dass es dem Rest von Asien in 20 bis 30 Jahren unmöglich sein wird, Chinas Gewicht und Möglichkeiten zu begegnen. Daher brauchen wir Amerika, um das Gleichgewicht zu halten.“ Und an die Adresse der Amerikaner gerichtet: „Das 21. Jahrhundert wird ein Wettbewerb um die Vorherrschaft im Pazifik sein, denn dort ist das Wachstum. Wenn ihr eure Position im Pazifik nicht haltet, dann könnt ihr nicht der Führer der Welt sein.“ (4)

Aber auch wenn die meisten Länder innere und äussere Feinde zu fürchten haben und ihnen die strategische Bedeutung ihrer Region bewusst ist, bedeuten die grosszügigen Erhöhungen der Verteidigungshaushalte nicht automatisch, dass ein Rüstungswettlauf im Gange ist. Zum einen dürfte ein Gutteil der höheren Ausgaben schlicht auf eine bessere Bezahlung der Soldaten zurückzuführen sein. In China sind jährliche Lohnerhöhungen von deutlich über zehn Prozent nicht unüblich, wie auch ausländische Investoren beklagen. Und zum anderen haben viele Länder einen Nachholbedarf: Nach der Asienkrise haben die meisten Länder ihre Verteidigungsausgaben zurückgefahren und finden sich nun mit veraltetem Material wieder. Hinzu kommt, dass den Führern Asiens natürlich bewusst ist, dass wettrüsten nicht nur teuer ist, sondern wohl auch die Kriegsgefahr erhöht. „Kleine Zwischenfälle können leicht zu grösseren Ereignissen und schliesslich zu hässlichen kleinen Kriegen werden.“ warnt Siemon Wezeman, vom Stockholmer Friedensforschungsinstitut (2). Trotzdem ist nicht sicher, dass sich ein Wettrüsten vermeiden lässt, denn das Misstrauen zwischen den Ländern ist gross. Wenig hilfreich ist hier die geringe Transparenz der chinesischen Rüstungsausgaben und –pläne. So weist Peking die Ausgaben für neue Waffensysteme nicht im Verteidigungshaushalt aus. Dieser beträgt offiziell 106 Milliarden Dollar (2012), doch Analysten schätzen, dass er in Wahrheit eher bei 142 (5) oder gar 160 (6) Milliarden Dollar liegt. Misstrauen erregt zudem Chinas Festhalten an der Einparteiendiktatur in einer weitgehend demokratischen Region. Chinas Nachbarn befürchten, dass die Machthaber in Peking letztlich auf Nationalismus setzen, um ihre Macht zu sichern.

Das grösste Problem ist aber das Fehlen einer Sicherheitsarchitektur vergleichbar mit der Nato in Europa. Bislang war das kein Problem: Die USA haben als einziger grosser Akteur für Frieden und Sicherheit in Asien gesorgt. Doch die Zeit dieser „pax americana“ in Asien ist unwiederbringlich vorbei. Der Aufstieg Chinas macht eine neue, sicherheitspolitische Balance erforderlich. Und hier ist klar, was die Länder Asiens nicht wollen. Sie wollen weder eine „pax sinica“ („chinesischer Frieden“) ohne die USA noch eine G2 Welt mit einem amerikanisch-chinesischen Duopol oder einen Kalten Krieg mit zwei Lagern angeführt von Peking und Washington. „Die heutige Aufgabe ist der Aufbau einer ‚pax pacifica‘ – ein Frieden, der in den Prinzipien gemeinsamer Sicherheit verankert ist und der die Realität amerikanischer und chinesischer Macht anerkennt, ohne dass die Region zu einem Kollateralschaden wird, wenn sich die amerikanisch-chinesische Beziehung verschlechtert.“ sagt der ehemalige australische Aussenminister Kevin Rudd (7). Kurz, um Wettrüsten und Krieg in Asien zu vermeiden, braucht es ein grosses, historisches Projekt zum Aufbau einer Sicherheitsarchitektur in Asien. Das Problem: Niemand weiss, ob ein derartiges Unterfangen gelingen wird, und so gehen die meisten Länder auf Nummer sicher und kaufen weiter Waffen. mic

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(1) The Telegraph, 25.10.2010: US to build £8bn super base on Pacific island of Guam

(2) The Wall Street Journal, 12.02.2011: Asia’s New Arms Race

(3) Reuters, 26.03.2012: U.S. seeks missile-defense shields for Asia, Mideast

(4) Shanghaiist, 04.11.2009: Singapore’s Lee Kuan Yew pisses off Chinese netizens

(5) Reuters, 16.02.2012: Fighters, radar, marine patrols top Asia’s military wish-list. Hinweis: Das geschätzte Budget von 142 Milliarden Dollar beruht auf einer Berechnung des Autors, die sich auf folgende Aussage stützt: “According to IHS Jane’s DS Forecasts, (…) China’s military budget will double to $238.20 billion by 2015 from $119.80 billion last year (2011), growing about 18.75 percent per annum.”

(6) The Diplomat, 11.03.2012: China Ups Military Spending

(7) Project Syndicate, 07.02.2012: Kevin Rudd: Tomorrow’s Pax Pacifica