Klimapolitik wird zu Geopolitik

Wettbewerb zwischen den Großmächten beim Klima stärkt Rolle der EU

Die EU hat in der Klimapolitik einen Vorsprung gegenüber den USA und China. Indem das Klima weltpolitisch wichtiger wird, stärkt das die Position der EU. Doch mit mehr Macht kommt auch mehr Verantwortung.

Noch vor einem Jahr war Klimapolitik etwas für Fachpolitiker mit einem Faible für Abkürzungen wie „LuluCF“. Doch das hat sich geändert: Jetzt geht es bei Klimapolitik um Macht. Letzte Woche schrieb der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell: „Europa muss eine globale Klimamacht werden.“ [1] Der Grund für die Aufwertung der Klimapolitik ist die veränderte Wahrnehmung des Klimaproblems. Während früher Klimaschutz als Kostenfaktor galt, gilt er heute als entscheidend für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. Das machte letzte Woche die Chefin der EU-Kommission Ursula von der Leyen klar. Nachdem sie die die Rückkehr der USA ins Pariser Klimaabkommen begrüßt hatte, sagte sie: “Für Europa ist das ein weiterer Grund die Anstrengungen zu beschleunigen, um den “First Mover Advantage” (Vorsprung) zu behalten. Ich mag Wettbewerb.“ [2]

Von der Leyens Selbstbewusstsein zeigt, dass aus ihrer Sicht die EU gute Karten hat für diese neue Phase der internationalen Klimapolitik. Früher hingen Fortschritte beim Kampf gegen die Klimakrise von der weltpolitischen Großwetterlage ab. So kam das Paris Abkommen zustande, weil die beiden mächtigsten Akteure, die USA und China, zuvor eine bilaterale Verständigung gefunden hatten. Doch in der neuen Phase ist es genau umgekehrt: Gute Klimapolitik verleiht einem Land nun Macht. China hat das erkannt und daher im Oktober, kurz nach dem virtuellen EU-China Gipfel, angekündigt bis zum Jahr 2060 CO2-neutral wirtschaften zu wollen. Gleichzeitig hat China damit die Rolle der EU aufgewertet. Olivia Lazard vom Thinktank Carnegie Europe schrieb damals: „Das ist eine geopolitische Chance mit sofortigen Vorteilen, serviert auf einem Silbertablett.“ [3]

Doch wo liegen diese Vorteile und wie kann sich Europa diese sichern? Um diese Frage zu beantworten, muss man die verschiedenen Dimensionen von Klimapolitik in dieser neuen, geopolitischen Phase betrachten:

  • Investitionen: Europa investiert mehr in die Transition des Energiesystems als China und die USA, wie Zahlen des Thinktanks BloombergNEF zeigen: Europa kam letztes Jahr auf 166 Milliarden Dollar, China auf 135 Milliarden und die USA auf 85 Milliarden. [4] Eingeschlossen sind hier nicht nur Investitionen in Erneuerbare sondern auch solche in Elektroautos etc. Hier dürfte der Wettbewerb allerding härter werden: Der neue US-Präsident Joe Biden will in den nächsten vier Jahren zwei Billionen Dollar in Klimainfrastruktur investieren.
  • Technologien: Die EU meldet deutlich mehr „grüne Patente“ an als die USA, Japan oder China. [5] Das gilt insbesondere für Technologien, die sowohl grün als auch digital sind wie die Europäische Investitionsbank EIB herausgefunden hat (siehe Grafik).
Wer hat’s erfunden? China holt auf aber langsam. (Grafik: EIB)
  • Finanzströme: Damit die Emissionen weltweit schnell sinken, müssen riesige Finanzströme umgeleitet werden. Auch hier ist die EU gut positioniert. Mit der EIB hat sie die weltgrößte Entwicklungsbank. Mehr als die Hälfte aller grünen Anleihen weltweit wurden in Europa begeben, wie Zahlen der Climate Bonds Initiative zeigen. [6] Und Europas Geschäftsbanken und Versicherungen sind ihren Konkurrenten voraus, indem sie ihre Portfolios schneller von fossilen Altlasten bereinigen.
  • Standards: Internationale Konzerne halten sich oft weltweit an den striktesten Standard, der irgendwo auf der Welt gilt und das ist meist die entsprechende EU-Vorschrift. Die Möglichkeit unilateral globale Standards zu setzen ist auch als „Brüssel Effekt“ bekannt. Die EU nutzt diesen Effekt aktiv, nicht zuletzt weil EU-Firmen dadurch einen Wettbewerbsvorteil erlangen.
  • Wasserstoff: Um Stahl und Zement emissionsfrei herzustellen und den Luftverkehr zu dekarbonisieren ist viel Wasserstoff als Energieträger erforderlich. Um diesen zu produzieren werden riesige Mengen an erneuerbarem Strom benötigt und die EU wird daher einen Teil des Wasserstoffs importieren müssen. Aus welchen Ländern diese Importe kommen und welche Firmen den Wasserstoff produzieren werden, ist aber noch offen.
  • Schwerindustrie: Auch hier hat das Rennen gerade erst begonnen: Wird „grüner Stahl“ künftig in Deutschland mit Wasserstoff aus Marokko hergestellt oder aus Australien importiert? Dort steht direkt neben den Eisenerzminen viel Platz für Solarkraftwerke zur Verfügung.
  • Rohstoffe: Metalle aus der Gruppe der „seltenen Erden“ sind für Batterien sowie Solar- und Windkraftanlagen wichtig. China kontrolliert hier einen Großteil der Weltproduktion. Diese Abhängigkeit ist in Brüssel bekannt, und die EU verfolgt daher systematisch die Versorgung mit 30 „kritischen Rohstoffen“. [7]
  • Drittstaaten: Schließen sich Entwicklungsländer in Asien und Afrika Chinas „Belt and Road“ Infrastrukturinitiative (BRI) an oder arbeiten sie mit Firmen in Europa zusammen? China mag hier einen Vorteil haben, aber die EU und die USA haben diese strategische Herausforderung mittlerweile erkannt. Außerdem sind die EU und ihre Mitglieder die größten Geber von Entwicklungshilfe.
  • Weltordnung: Werden wichtige Regeln etwa für den internationalen Handel mit CO2-Zertifikaten im Rahmen multilateraler Prozesse gesetzt oder gilt zunehmend das Recht des Stärkeren? Hier bekennt sich China bei jeder Gelegenheit wortreich zum Multilateralismus während die USA unter dem früheren Präsidenten Donald Trump abseits standen. Letzteres könnte sich unter Biden jetzt wieder ändern.

Kurz, Klimapolitik entscheidet von jetzt an, wer die entscheidenden Technologien entwickelt und Standards setzt, welche Finanzzentren wachsen und welche schrumpfen, wo das „Öl der Zukunft“ herkommt, wer am meisten Einfluss in Drittstaaten hat und wie es mit der multilateralen Weltordnung weitergeht. Bei all diesen Fragen ist die EU in einer relativ guten Position. Außerdem hat sie einen seit Jahren funktionierenden Emissionshandel, ein brandneues Klimaziel für 2030 und mit dem 750-Milliarden-Euro-Wiederaufbaufonds das „grünste Stimulusprogramm der Welt“ (EU-Klimakommissar Frans Timmermans). [8] Mittlerweile hat sie zudem niedrigere Pro-Kopf-Emissionen als die USA und China. Der von der Leyen’sche „First Mover Advantage“ existiert also tatsächlich.

Handelsströme. Diese Karte zeigt die Routen von Handelsschiffen an einem Tag im Jahr 2012 nach Schiffstyp: Container gelb, Schüttgut blau, Tanker rot, Gastanker grün und Autos lila. (Visualisierung: kiln / shipmap.org)

Eine wichtige Entscheidung ist allerdings noch ausstehend: die Ausgestaltung des CO2-Preises für Importe wie Stahl oder Chemikalien, bei deren Produktion besonders hohe Emissionen angefallen sind (Carbon Border Adjustment). Damit soll verhindert werden, dass die Herstellung dieser Produkte in Länder mit schwächeren Klimazielen abwandert. Außerdem lassen sich so die EU-Klimaziele „exportieren“: Wenn ein Drittstaat für seine Produkte die Bezahlung der Abgabe verhindern will, muss er nachweisen, dass bei ihm CO2-Emissionen ähnlich viel kosten wie im EU-Emissionshandel. Wie die Abgabe genau funktionieren wird, soll im Juni entschieden werden. Wichtig ist dabei, dass die Regeln der Welthandelsorganisation WTO nicht verletzt werden und die Abgabe nicht wie ein illegaler Zoll wirkt.

Damit steht die EU vor eine kniffligen, diplomatischen Herausforderung: Die USA wollen eine ähnliche Abgabe einführen und erste Gespräche über ein koordiniertes Vorgehen haben bereits begonnen. Die USA haben auf Bundesebene aber weder einen Emissionshandel noch eine CO2-Steuer. China hingegen hat seit diesem Jahr einen Emissionshandel für Kraftwerke, der auf andere Industrien ausgedehnt werden könnte. Strukturell sind die Systeme in der EU und in China also eher kompatibel. In dieser Gemengelage ist die Grenzabgabe Chance und Risiko zugleich. Die EU hat die Chance den Welthandel grüner zu machen, damit Stahl aus teurem Wasserstoff mit Stahl aus billiger Steinkohle konkurrieren kann. Gleichzeitig besteht das Risiko, dass Länder wie China das als Protektionismus werten und Gegenmaßnahmen ergreifen bis zum Handelskrieg. Noch ist nicht entschieden, ob der Wettbewerb zwischen den Großmächten beim Klima konstruktiv oder destruktiv wird. Mehr Macht heißt für die EU daher auch mehr Verantwortung. mic

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[1] Josep Borrell, Werner Hoyer, 22.01.2021: Europe Must Become a Global Climate Power

[2] EU, 20.01.2021: Statement by President von der Leyen at the joint press conference with President Sassoli and Prime Minister Costa on the EU’s political priorities under the Portuguese Presidency

[3] klimareporter.de, 04.11.2020: Der Klimawandel und Europas neue geopolitische Rolle

[4] Bnef, 19.01.2021: Energy Transition Investment Hit $500 Billion in 2020 – For First Time

[5] EIB, 21.01.2021: EIB Investment Report 2020/2021: European Union is leading the way in green technology investment

[6] Climate Bond Initiative, Stand 27.01.2021: Data platform

[7] EU, 03.09.2020: Critical Raw Materials Resilience: Charting a Path towards greater Security and Sustainability

[8]