Finanzmärkte stellen Frage nach Finalität Europas

Eurobonds bedingen eine weitere Vertiefung der europäischen Integration

Eurobonds kristallisieren sich zunehmend als einzig wirksames Mittel gegen die Eurokrise heraus. Doch diese brauchen Institutionen, also eine weitere Vertiefung der EU. Und damit stellt sich die Systemfrage: Was soll aus Europa einmal werden?

Was ist das Ziel der europäischen Integration: ein Staatenbund, eine Föderation oder ein Bundesstaat – die Vereinigten Staaten von Europa? Mit dieser Frage befassen sich Politiker, wenn überhaupt, höchst selten. Die Frage nach der Finalität der EU hat in normalen Zeiten keine tagespolitische Relevanz und verschreckt einen Teil der Wähler. Doch dies sind keine normalen Zeiten. „Der Euro bricht auseinander“ prophezeit der ehemalige Chef der US Notenbank Alan Greenspan und damit wäre auch der Zusammenhalt der EU gefährdet, wie etwa Angela Merkel immer wieder betont.

Doch was braucht es um den Euro zu retten? Bei dieser Frage kristallisiert sich zunehmend ein Konsens unter Experten heraus: Eurobonds. Vom luxemburgischen Premier Jean-Claude Juncker, über den IWF und den Spekulanten George Soros bis zur SPD und den Grünen herrscht Eingkeit, dass die Eurokrise nur über eine Vergemeinschaftung des Konkursrisikos unter Kontrolle gebracht werden kann. Denn bislang gilt genau das Gegenteil: Die sogenannte „no bail out“ Klausel besagt, dass kein Euroland für die Schulden eines anderen haftet. Sie ist Ausdruck des Misstrauens unter den Euroländern. Dies ist auch den Finanzmärkten nicht entgangen und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass es ihnen auch an Vertrauen mangelt. Und genau auf dieses Vetrauensmanko zielen die Eurobonds ab. Die gemeinsamen Staatsanleihen funktionieren nach dem Wahlspruch der drei Musketiere: „Einer für alle, alle für einen.“

Aber Eurobonds brauchen Institutionen. Zum einen muss die Krisenprävention gestärkt werden, etwa durch eine europäische Bankenaufsicht. Dann müssen Mechanismen zur Krisenbewältigung etabliert werden, etwa durch eine Aufwertung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM zu einem vollwertigen Europäischen Währungsfonds EWF. Und schliesslich braucht es eine Behörde, die Anträge auf die Ausgabe von Eurobonds prüft und zur Not auch verweigert. Bei Ländern mit sehr hoher Verschuldung müsste diese Behörde ausserdem das Recht haben, deren Staatshaushalte auf Einhaltung der Defizitziele zu überprüfen. Eurobonds sind also nur möglich, wenn die Institutionen von Euroland massiv verstärkt werden und die Mitglieder der Währungsunion weitere Souveränitätsrechte an Europa delegieren.

Doch diese neuen Institutionen brauchen einen politischen Überbau. Der IWF stellt denn auch fest, dass eine „politische Union“ die Voraussetzung für das Funktionieren der Währungsunion ist. Wie diese aussehen könnte, erklärt derweil die ehemalige EU Kommissarin Emma Bonino in einem Beitrag für Project Syndicate. Sie verlangt eine „Federation Lite“ mit einem Budget von fünf Prozent des Euroland BIPs (ca. 600 Milliarden Euro). Diese Summe ist „die kritische Masse, die eine makroökonomische Stabiliserung und Umverteilung ermöglicht, wenn dies erforderlich ist“. Und um diese nicht unerhebliche Summe verwalten zu können, braucht es „natürlich“ einen europäischen Finanzminister, wie Bonino sagt.

Aber damit ist noch nicht genug: Damit das viele Geld nicht zusätzlich zu den bestehenden Staatsausgaben erhoben werden muss, schlägt Bonino eine Verlagerung von weiteren Kompetenzen auf die EU Ebene vor, etwa die Verteidigung: „An Stelle der weitgehend irrelevanten und ineffizienten nationalen Armeen, wäre eine europäische Armee mit einem Budget von einem Prozent des EU BIPs sofort die zweitbest ausgerüstete Armee der Welt nach den USA und hoffentlich auch die zweitschlagkräftigste.“

Und damit hätten wir dann schon einen europäischen Verteidigungsminister und sind ganz weit weg von den Schulden Griechenlands. Aber Bonino hat Recht: Um die Schudenkrise zu lösen, müssen die Europäer eine Antwort auf die Frage finden, was das Ziel der europäischen Einigung sein soll. Entweder die Europäer stehen zusammen und treten gegen Aussen, also auch gegenüber den Finanzmärkten als Block auf, oder sie laufen Gefahr, dass ihnen erst der Euro und dann die EU um die Ohren fliegen. Doch damit eine Gruppe von Ländern nach Aussen als Block auftreten kann, bedarf es eines gewissen Masses an Solidarität. Solidarität nach Innen ist der Kitt, der eine Gruppe zusammenhält. Das kennt man schon vom Schulhof. Manche wie der deutsche Bundespräsident glauben aber, dies verleite Länder wie Griechenland dazu, es sich auf deutsche Kosten bequem zu machen: “Mit wem würden Sie persönlich einen gemeinsamen Kredit aufnehmen? Für wen würden Sie persönlich bürgen?” fragt Christian Wulff daher volksnah und falsch. Dabei überschätzt er die Vorzüge des fremdfinanzierten Lotterlebens: Die Abgabe der Finanzhoheit an den IWF und ein paar Luxemburger Fondsmanager, die radikalen Sparmassnahmen und die Dauerrezession dürften die meisten Griechen davon überzeugen, dass das Leben auf deutsche Kosten so toll auch wieder nicht ist. Ausserdem ist ein gewisses Mass an „Umverteilung“ (vulgo Transferunion genannt) innerhalb der EU nichts Neues. Deutschland ist seit je her ein Nettozahler und Griechenland ein Nettoempfänger.

In dieser Situation ist es gut, dass die Finanzmärkte den Politikern eine aufs Geld verkürzte Diskussion über die Eurokrise nicht durchgehen lassen. Die Märkte verlangen von den Europäern einen Offenbarungseid: Zu wieviel Solidarität seit ihr bereit? Wollt ihr als Block auftreten oder sollen wir euch per Einzelabreibung klar machen wo der Bartel den Most holt? Denn man darf sich nichts vormachen. Schon heute haben Länder wie Italien, Spanien und Frankreich einen Gutteil ihrer Souveränität an die Finanzmärkte verloren. Steigt die Zinsdifferenz zwischen ihren Anleihen zu deutschen Bundesanleihen, wissen die Regierungen in Madrid, Rom und Paris, dass die Zeit für ein weiteres Sparpaket gekommen ist. Statt ausschliesslich über die Kosten von Eurobonds zu diskutieren, sollte man daher die Fragestellung ausweiten: Wie unabhängig soll Europa von den Finanzmärkten sein? Wo wollen wir hin? Was ist das Ziel der europäischen Einigung? Und mit dieser etwas weniger buchhalterischen Sicht auf die aktuelle Krise lässt sich dann vielleicht auch eine Lösung finden. Die Finanzmärkte stellen die Systemfrage, und das ist auch gut so. mic

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