Chinas Leistungsbilanz dreht ins Minus

Überschuss im Warenhandel steht Reiselust der Chinesen gegenüber

Lange hat China Kapital exportiert, also mehr gespart als ausgegeben. Ab diesem Jahr wird China aber Kapital importieren müssen. Das dürfte den Druck erhöhen, Chinas Wirtschaft stärker zu öffnen.

Das Ungleichgewicht beim Handel zwischen China und den USA dominiert derzeit die Schlagzeilen. Trotz des Handelskriegs ist Chinas Handelsüberschuss mit den USA letztes Jahr sogar noch gestiegen – um 17 Prozent auf 323 Milliarden Dollar, wie Zahlen von Chinas Zollbehörde zeigen. [1] Kaum bekannt ist hingegen die Entwicklung von Chinas Leistungsbilanz mit der ganzen Welt. Diese umfasst den Handel mit Gütern und Dienstleistungen, Überweisungen von Immigranten in ihre Heimatländer sowie Zins- und Dividendeneinnahmen. Hier hat China im Jahr 2007 einen Überschuss in Höhe von zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts erzielt (siehe Grafik). Doch seither sinkt dieser Wert kontinuierlich und lag letztes Jahr noch bei 0,4 Prozent. (Zum Vergleich: Der deutsche Überschuss betrug letztes Jahr 7,4 Prozent.)

Über'm Berg. Chinas Leistungsbilanz verschlechtert sich seit dem Jahr 2007 fast kontinuierlich. (Grafik: Morgan Stanley [2])
Über’m Berg. Chinas Leistungsbilanz verschlechtert sich seit dem Jahr 2007 fast kontinuierlich. (Grafik: Morgan Stanley [2])
Für dieses Jahr erwarten Analysten, dass China zum ersten Mal seit 1993 wieder ein Defizit in der Leistungsbilanz ausweisen muss, das dann von Jahr zu Jahr grösser wird. James Lord von der US-Investmentbank Morgan Stanley geht von einem Defizit in Höhe von 50 Milliarden Dollar im Jahr 2019 aus, das dann in zwölf Jahren auf 430 Milliarden steigt. „Von jetzt an reichen Chinas einheimischen Ressourcen nicht mehr aus, um das gewünschte Wachstum zu finanzieren“, schreibt Lord. [2] Schuld daran ist vor allem die Reiselust der Chinesen. Diese haben letztes Jahr 131 Millionen Reisen ins Ausland unternommen und dabei 250 Milliarden Dollar ausgegeben, wie die Unternehmensberatung McKinsey schreibt. [3 s. S. 5] Aber auch der Konsum im Inland steigt und somit der Import von Gütern. Das hat nicht zuletzt demografische Gründe: „Die alternde Bevölkerung wird mehr konsumieren und weniger sparen“, schreibt Lord. [2] Schliesslich verzeichnet China auch ein Defizit bei den Vermögenseinkommen: Mehr Geld fliesst in Form von Zinsen und Dividenden aus China raus als rein.

Repräsentativ. Diese chinesischen Touristinnen haben Spass daran, die Leistungsbilanz ihres Landes zu ruinieren. Dabei entsprechen sie genau dem typischen Touristen aus China: Weiblich, nach 1980 geboren und in Thailand. [5] (Foto: Chinese Tourists / Flickr)
Repräsentativ. Diese chinesischen Touristinnen haben Spass daran, die Leistungsbilanz ihres Landes zu ruinieren. Dabei entsprechen sie genau dem typischen Touristen aus China: Weiblich, nach 1980 geboren und in Thailand. [5] (Foto: Chinese Tourists / Flickr)
Wer mehr Geld ausgibt als er einnimmt hat zwei Möglichkeiten: Entweder er verkauft Vermögenswerte oder er leiht sich Geld. Vermögenswerte hat China derzeit noch genug. Die Währungsreserven belaufen sich auf mehr als 3000 Milliarden Dollar. China wird sich aber auch mehr Geld leihen. „Kapitalzuflüsse insbesondere in den Markt für Anleihen werden entscheidend für Chinas Zahlungsbilanz sein“, sagt Becky Liu von der US-Bank Standard Chartered gegenüber der Zeitung South China Morning Post in Hong Kong. [4] Zuflüsse gibt es aber nur, wenn Anleger ihr Geld auch in China anlegen wollen. Das hat Folgen sagt Chen Dong von der Schweizer Privatbank Pictet: „Man muss China attraktiv für ausländische Investoren machen und das ist warum man Barrieren abbauen muss, um eine ausländische Beteiligung zu ermöglichen.“ [4] Kurz: China muss sich weiter öffnen, wenn es auf fremdes Geld angewiesen ist.

Für den Rest der Welt hat ein chinesisches Defizit in der Leistungsbilanz unterschiedliche Konsequenzen. Zum einen tritt China plötzlich als Nachfrager von Kapital in Konkurrenz zu anderen Ländern, die ebenfalls eine Defizit in der Leistungsbilanz haben etwa die USA oder einige Schwellenländer. Dies macht Kapital tendenziell wertvoller und sollte letztlich zu steigenden Zinsen führen. Zum anderen profitieren natürlich auch manche Länder von den steigenden chinesischen Importen und chinesischen Touristen. „Wenn Chinas Kapitalbedarf steigt, muss er parallel im Rest der Welt sinken“, schreibt Lord. [2] „Das muss nicht schlecht enden für andere Defizitländer, aber der Prozess könnte für manche holpriger sein. Es kommt darauf an, welche Länder von den höheren Importen Chinas profitieren.“ mic

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[1] Reuters, 14.01.2019: China’s 2018 trade surplus with U.S. highest on record going back to 2006

[2] James Lord via zerohedge, 24.02.2019: Morgan Stanley: China’s Current Account Deficit Will Be The Most Important Turning Point In 2019

[3] McKinsey, September 2018: Chinese tourists: Dispelling the myths – An in-depth look at China’s outbound tourist market (PDF)

[4] South China Morning Post, 10.01.2019: Trade war drives down China’s current account forcing new reliance on foreign investment

[5] Cottm, 17.09.2018: China’s outbound tourism market shows no signs of slowing