Und noch eine Gaspipeline aus Russland

Gazprom, Eon, Shell und OMV wollen Kapazität von North Stream verdoppeln

Europa importiert ein Drittel seines Gasbedarfs aus Russland. Doch ab 2019 will Russland kein Gas mehr durch die Ukraine nach Europa pumpen. Wenn Moskau bei dieser Entscheidung bleibt, fehlen Europa 35 Milliarden Kubikmeter Gas. Doch Gazprom will nun zwei neue Pipelines bauen, die drei Mal soviel Gas transportieren könnten.

Die Kapazität von ‚North Stream‘, der Gaspipeline von Russland direkt nach Deutschland, soll verdoppelt werden. Dazu haben der russische Gaskonzern Gazprom und die drei europäischen Energiekonzerne Eon, Shell und OMV letzte Woche in St. Petersburg eine Absichtserklärung unterzeichnet. Gleichzeitig hat Gazprom seine Pläne für die ‚Turkish Stream‘ Pipeline vorangetrieben. Diese Röhre soll Gas durchs Schwarze Meer in die Türkei und dann bis zur griechischen Grenze transportieren. Mit der North Stream Erweiterung sollen jährlich 55 Milliarden und mit Turkish Stream 49 Milliarden Kubikmeter Gas in die EU geliefert werden. Das erstaunliche: Die EU hat kein Interesse an diesen Pipelines. „Unsere Politik ist nicht mehr Gas sondern mehr Diversifikation.“, sagte der EU-Energiekommissar Miguel Arias Cañete gegenüber Politico. [1]

Pipeline Walzer. Europa bezieht über drei Pipelines Gas aus Russland. Doch diese sind nicht voll ausgelastet (rote Balken versus Kapazität). Wenn die Ukraine als Transitland wegfällt, fehlt eine Pipeline Kapazität von 35 Milliarden Kubikmetern. Die North Stream Erweiterung und Turkish Stream zusammen kämen aber auf 104 Milliarden Kubikmeter.  (Grafik: Bruegel)
Pipeline Walzer. Europa bezieht über drei Pipelines Gas aus Russland. Doch diese sind nicht voll ausgelastet (rote Balken versus Kapazität). Wenn die Ukraine als Transitland wegfällt, fehlt eine Pipeline Kapazität von 35 Milliarden Kubikmetern. Die North Stream Erweiterung und Turkish Stream zusammen kämen aber auf 104 Milliarden Kubikmeter. (Grafik: Bruegel)

Grund für die russische Pipelinebegeisterung ist die Entscheidung Moskaus, ab 2019 kein Gas mehr durch die Ukraine nach Europa zu liefern. Die EU lehnt dies ab: „Wir haben ein grosses Problem mit der Entscheidung Russlands, des Gasfluss durch die Ukraine zu stoppen.“, sagt Cañete. „Die Ukrainer verlieren Transitgebühren und diese sind eine wichtige Einnahmequelle.“ [1] Hinzu kommt, dass die Pipelines durch die Ukraine bereits existieren und das Land über grosse Gasspeicher verfügt. Noch ist zudem unklar, ob Russland überhaupt die Durchleitung durch die Ukraine verweigern kann. Einige westliche Energiekonzerne haben Lieferverträge, die weit über das Jahr 2019 hinaus gehen.

Aber selbst wenn Russland ab 2019 tatsächlich kein Gas mehr durch die Ukraine nach Europa pumpt, besteht kein Bedarf für eine Verdoppelung von North Stream und Turkish Stream. Derzeit sind Russland und Europa durch drei Gaspipelines miteinander verbunden: North Stream, die Yamal Pipeline durch Weissrussland und das Pipelinesystem durch die Ukraine. Von diesen drei Routen ist einzig die Yamal Pipeline voll ausgelastet (siehe Grafik), wie der Europa Think Tank Bruegel mit Daten von BP in einer Studie aufgezeigt hat. [2] Derzeit bezieht Europa knapp 120 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland. Yamal und North Stream haben eine Kapazität von rund 85 Milliarden Kubikmetern. Fällt die Ukraine weg, fehlt also eine Kapazität von 35 Milliarden Kubikmetern. Wenn sowohl North Stream erweitert wird (55 Milliarden) und Turkish Stream gebaut wird (49 Milliarden Kubikmeter) besteht folglich eine gigantische Überkapazität an Gaspipelines. Dies gilt umso mehr, da derzeit ein Pipelinesystem im Bau ist, das 10 Milliarden Kubikmeter Gas aus Aserbaidschan nach Süditalien bringen soll (Tanap und Tap).

Bruegel stellt daher die Frage wie dieser „Pipeline Walzer“ zu verstehen ist und kommt auf drei mögliche Antworten: Erstens, Russland hat gar nicht die Absicht Turkish Stream tatsächlich voll auzubauen. Dafür spricht, dass völlig unklar ist, wie das Gas weiter nach Europa transportiert werden soll. Zweitens, Russland benutzt die North Stream Option, um die Türkei in den Verhandlungen unter Druck zu setzen und verzichtet schliesslich auf die North Stream Erweiterung. Und drittens, es geht Russland gar nicht um Pipelines sondern ausschliesslich um Politik: Mit den konkurrierenden Pipelines soll die EU geteilt werden. Dieser Meinung ist auch Sijbren de Jong vom Zentrum für strategische Studien in Den Haag: „Es ist klassisches: ‚Teile und herrsche‘.“ [1] mic

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[1] Politico, 19.06.2015: Russia strikes pipeline deals to skirt Ukraine

[2] Bruegel, 19.06.2015: The Russian pipeline waltz – Exploring trade-offs between recently launched pipeline projects