TTIP soll noch dieses Jahr abgeschlossen werden

Europa will, dass jeweils die strengere Regulierung zur Anwendung kommt

Die EU-Kommission hofft das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA noch dieses Jahr abschliessen zu können. Beim Investorenschutz hat sie sich mit Kanada bereits auf eine Blaupause einigen können. Doch es gibt noch mehr knifflige Themen.

Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP zwischen der EU und den USA will mehr als ein gewöhnliches Handelsabkommen: So sollen nicht nur die meisten Zölle wegfallen, sondern auch Vorschriften für Produkte wenn möglich vereinheitlicht werden – etwa bei der Zulassung von Arzneimitteln oder Autos. Ausserdem sollen die Regulierungsbehörden auf beiden Seiten des Atlantiks enger zusammen arbeiten, wenn sie neue Vorschriften erlassen. Dazu hat die EU-Kommission nun den europäischen Textvorschlag veröffentlicht. [1] Darin hält die Komission fest, dass Kooperation nur dann möglich ist, wenn dadurch der Konsumenten-, Umwelt- oder etwa der Gesundheitsschutz erhöht wird. Damit will die EU-Kommission die Befürchtung zerstreuen, dass vermeintlich höhere EU-Standards auf ein vermeintlich niedrigeres US-Niveau gedrückt werden. Die Kritik liess aber nicht lange auf sich warten. Eine Gruppe von 45 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) schrieb an EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström: „Der Vorschlag ermöglicht es den USA in einem sehr frühen Stadium unangemessenen Einfluss auf den (EU-) Entscheidungsprozess zu nehmen.“ Zum Schluss fordern die NGOs dann: „Wir verlangen, dass Sie die TTIP Verhandlungen abbrechen.“ [2]

Quantensprung. Dieser Demonstrant aus dem Oktober 2015 wäre wohl auch vom Investitionsgerichtshof nicht restlos überzeugt. (Foto: Jakob Huber / Flickr)
Quantensprung. Dieser Demonstrant aus dem Oktober 2015 wäre wohl auch vom Investitionsgerichtshof nicht restlos überzeugt. (Foto: Jakob Huber / Flickr)

Dieser Forderung wird Malmström kaum nachkommen. Letzte Woche hat sie einmal mehr bekräftigt, dass die Verhandlungen noch dieses Jahr abgeschlossen werden sollen. [3] Bis Juli soll ein konsolidierter Text vorliegen, der nur noch wenige strittige Punkte enthält. Dazu finden noch zwei weitere Verhandlungsrunden statt. Im Oktober soll dann das ‚Endspiel‘ statt finden, wo die letzten und heikelsten Punkte ausgeräumt werden. Dazu werden Agrarprodukte, das öffentliche Beschaffungswesen, geografische Herkunftsbezeichnungen wie ‚Schwarzwälder Schinken‘ und der Investorenschutz gehören. Der französiche Staatssekretär für Aussenhandel Matthias Fekl erhöht hier bereits den Druck auf die US-Seite: „Wenn es beim Zugang zu den öffentlichen Märkten in den USA, bei geschützten geografischen Herkunftsbezeichnungen und beim Investitionsgerichtshof kein Entgegenkommen gibt, dann stellt sich die Frage, warum überhaupt noch verhandelt wird“, sagte Fekl gegenüber dem „Handelsblatt“. [4] „Europa hat viele Vorschläge gemacht, und es gibt auf der amerikanischen Seite sehr wenige seriöse Gegenvorschläge.“ Dies gelte insbesondere auch für den Investorenschutz: „Frankreich wird kein Freihandelsabkommen akzeptieren, in dem nicht ein Investitionsgerichtshof, wie jetzt bei CETA beschlossen, implementiert ist.“

CETA ist das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada und dort hat sich Erstaunliches getan, nachdem die Verhandlungen schon abgeschlossen waren. Die Verhandlungspartner haben sich beim ‚juristischen Schrubben‘ des Texts auf eine inhaltliche Neuerung geeinigt – und nicht nur Tippfehler korrigiert wie sonst üblich: Statt privaten Schiedsgerichten soll nun ein internationaler Investitionsgerichtshof über Streitfälle zwischen ausländischen Investoren und Staaten entscheiden. Wie bei anderen Gerichten auch, gibt es zudem eine höhere Instanz. Möglich wurde dies durch den Regierungswechsel in Kanada. Im Kabinett des neuen kanadischen Premierministers Justin Trudeau ist Chrystia Freeland für Handelsfragen verantwortlich, die schnell einen guten Draht zu Malmström fand: „Cecilia und ich haben eine tolle Beziehung entwickelt. Wir sind beide Frauen, im gleichen Jahr geboren, wir haben beide Kinder und wir sind beide liberal.“, sagte die Kanadierin über Malmström und sich. [5] Dank dieser Umstände gelang ein „Quantensprung“ wie Handelsspezialist Sebastian Dullien sagt (siehe Interview). Eine Gruppe von NGOs sieht dies anders und warnt: „Durch den Vorschlag könnten Steuergelder in Milliardenhöhe in die Kassen großer Konzerne fließen und Politik zum Schutz von Mensch und Umwelt untergraben werden.“ [6] mic

 

„Die neuen Regeln sind ein Quantensprung“

Professor Sebastian Dullien erklärt im Interview, was der neue Investitionsgerichtshof bringt

Prof. Sebastian Dullien
Prof. Sebastian Dullien

Sebastian Dullien, 40, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin. Dullien ist ausserdem Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations, einem paneuropäischen Think Tank.

 

 

mic: Was ändert sich durch das neue System mit einem Investitionsgerichtshof im Vergleich zu den herkömmlichen Schiedsgerichten?

Sebastian Dullien: Die neuen Regeln in CETA sind ein qualitativer Quantensprung gegenüber den meisten bisher existierenden Schiedsgerichts-Abkommen. Eine ganze Reihe der Bedenken der Kritiker des alten Systems werden hiermit ausgeräumt. Unter anderem ist in den neuen Regeln klar definiert, was die Begriffe wie „indirekte Enteignung“ und „fair and equitable treatment“ (faire und gleiche Behandlung) bedeuten, die in früheren Fällen oft absurd weit ausgelegt worden sind. Das Recht auf sinnvolle Regulierung ist festgeschrieben. Auch findet eine Professionalisierung des Tribunals statt und es gibt eine Berufungsinstanz. Außerdem ist die Transparenz der Verfahren festgeschrieben. Kurz: Das neue System ist der beste Ansatz zum internationalen Investorenschutz, den wir bisher in einem ausgehandelten Vertragswerg gesehen haben.

mic: Sind damit Ihre Bedenken hinsichtlich eines Investitionskapitels in CETA und TTIP ausgeräumt?

Sebastian Dullien: Auch wenn eine Reihe von Problemen aus der Welt sind – das Grundproblem bleibt: Wir schaffen eine Sonderjustiz für ausländische Investoren. Wenn ein inländischer Investor wegen seiner Hautfarbe oder Religion diskriminiert wird, sind seine Mittel auf das inländische Rechtssystem beschränkt. Geht es um einen ausländischen Investor, hat er noch den Weg zum Investorenschutztribunal. Da sowohl Kanada als auch die EU entwickelte und funktionierende Rechtssysteme haben, sehe ich nicht, wofür wir überhaupt diese Zusatzebene brauchen. Das Investitionskapitel in CETA ist also nicht mehr so gefährlich wie in den früheren Vertragsentwürfen aber immer noch überflüssig und ungerecht.

mic: Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass das neue System auch für TTIP genutzt wird?

Sebastian Dullien: Die Chancen, dass dieses System für TTIP übernommen und TTIP dann auch ratifiziert wird, schätze ich eher als schlecht ein. Der amerikanische Kongress, der am Ende TTIP ratifizieren muss, hat in der Vergangenheit immer enorme mentale Schwierigkeiten gehabt, ein internationales Gericht über US-Gerichte oder die US-Regierung zu stellen. Das ist ja auch der Grund, warum die USA nicht dem internationalen Strafgerichtshof beigetreten sind. Ich würde deshalb davon ausgehen, dass die USA einem solchen Mechanismus, wie er nun im CETA-Text steht, zumindest mit großen Vorbehalten begegnen würde.

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[1] EU-Kommission, 21.03.2016: TTIP- EU proposal for Chapter: Regulatory Cooperation (PDF)

[2] Corporate Europe Observatory, 21.03.2016: Letter to Commissioner cecilia Malmström

[3] Cecilia Malmström, 10.03.2016: EU Trade Priorities in 2016 (PDF)

[4] Handelblatt, 10.03.2016: Störfeuer für TTIP aus Paris

[5] Politico, 07.03.2016: Cecilia Malmström finds her trade groove

[6] Corporate Europe Observatory, März 2016: Totgesagte leben länger – der ISDS-Zombie (PDF)