Europas Ölkonzerne steigen in den Strommarkt ein

Investitionen in Öl und Gas bleiben trotzdem zu hoch für Pariser Klimaziele

Europas Ölkonzerne bereiten sich darauf vor, dass wirksame Massnahmen gegen die Klimakrise ergriffen werden. Der Abschied vom lukrativen Öl- und Gasgeschäft fällt ihnen dennoch schwer.

Der Chef des französischen Ölkonzerns Total fährt ein Elektroauto und scheint damit zufrieden zu sein: „Ich bin überzeugt, dass wir in Städten in 10 bis 15 Jahren massenweise Elektroautos haben werden“, so Patrick Pouyanné. [1] Sollte er recht behalten, wird das die Nachfrage nach dem Hauptprodukt seiner Firma reduzieren. Die britische Denkfabrik Carbon Tracker schätzt, dass bereits im nächsten Jahrzehnt die globale Ölnachfrage ihren Höhepunkt erreicht und dann relativ schnell sinkt (siehe Grafik). [2] Gleichzeitig wird erwartet, dass der globale Stromverbrauch stark ansteigt. Aus Klimasicht ist das unerlässlich, denn die CO2-Emissionen müssen bis zum Jahr 2030 halbiert werden, wenn die Chance bestehen soll, die Erwärmung bei 1,5 Grad zu stoppen. Der Chef des niederländisch-britischen Ölkonzerns Royal Dutch Shell, Ben van Beurden, ist derweil sicher, dass die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreicht werden: „Ich bin recht zuversichtlich, dass Paris umgesetzt wird, weil es einen signifikanten, gesellschaftlichen Druck dahinter gibt. Und ich habe die Absicht davon zu profitieren.“ [3]

Kipppunkt. Wenn der der “Peak” der Ölnachfrage erreicht ist, kommt kein Hochplateau sondern ein schneller Abfall. Das erwarten zumindest Shell und Carbon Tracker. (Grafik: Carbon Tracker)

Shell hat sich denn auch ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Der Konzern will in einem Dutzend Jahren der grösste Stromanbieter der Welt sein. [4] Das sorgt derzeit in Deutschland für Aufregung, denn Shell will die Muttergesellschaft des deutschen Ökostromanbieters Lichtblick übernehmen. Dabei dürfte es Shell nicht zuletzt auf eine Lichtblick-Software abgesehen haben. Diese verknüpft Solaranlagen, Windräder und Batterien zu einem „virtuellen Kraftwerk“. Im Strommarkt verfolgen Shell und andere europäische Ölkonzerne die gleiche Strategie wie in ihrem herkömmlichen Geschäft: Alle Glieder der Wertschöpfungskette werden vertikal integriert – vom Ölfeld bis zur Tankstelle respektive vom Solarkraftwerk bis zum Stromkunden. John Abbott von Shell sagte kürzlich: „Die Realität ist, dass wir bei einigen dieser Wertschöpfungsketten nicht wissen, wo die Gewinne sein werden.“ [5] Folglich gehen die Konzerne auf sicher und investieren in alle Kettenglieder.

Das können sie sich auch leisten, denn dank des gestiegenen Ölpreises sprudeln die Gewinne. Zudem sind Ölkonzerne im Vergleich zu den meisten Stromkonzernen gigantisch. Der grösste Produzent von Ökostrom der Welt, Nextera Energy aus den USA, hatte letztes Jahr einen Umsatz von 17 Milliarden Dollar. Das ist weniger als der Gewinn von Shell im gleichen Jahr. [6] Der Anteil der Investitionen von europäischen Ölkonzernen, die in das Stromgeschäft fliessen, ist denn auch gering. Bei Shell und dem norwegische Konzern Equinor (vormals Statoil) fliessen zwischen fünf und sechs Prozent der Investitionen ins Stromgeschäft. Beim italienischen Konzern Eni sind das vier Prozent und bei Total sowie dem britischen Konzern BP rund drei Prozent. [7] Der Rest der Investitionen geht ins herkömmliche Geschäft mit Öl und Gas.

Ausgepumpt. Das Ölzeitalter neigt sich dem Ende entgegen, allerdings nicht weil das Öl alle wäre. (Foto: Max Pixel)

Das liegt auch an der erwarteten Rendite. Bei der Öl- und Gasförderung in einem Entwicklungsland erwarten institutionelle Investoren eine Rendite von zwanzig Prozent. Bei einem Wind- oder Solarkraftwerk in einem Industriestaat geben sie sich hingegen schon mit zehn Prozent zufrieden. [5] Marktbeobachter gehen daher davon aus, dass die Rendite der Konzerne sinkt, je grösser das Stromgeschäft wird. Die US-Investmentbank Goldman Sachs ist hier allerdings anderer Meinung: „Wir glauben, dass dieser Schluss einige entscheidende Dynamiken der Transition zu einer Welt mit geringen CO2-Emissionen ignoriert und wir kommen zum umgekehrten Schluss: Die grossen Ölkonzerne werden bessere Renditen erzielen auf ihrem Pfad zu grossen Strom- und Energiekonzernen.“ [8] Der Grund: In den vergangenen Jahren wurde zuwenig und in den kommenden Jahren wird ebenfalls zuwenig Geld in die Förderung von Öl und Gas investiert, was für hohe Preise sorgt.

Carbon Tracker ist da anderer Meinung. Der Thinktank schätzt, dass bei Eni, Equinor, Shell, Total sowie dem spanischen Konzern Repsol zwischen 20 und 30 Prozent der geplanten Invesitionen in Öl und Gas nicht mit dem Zwei-Grad-Ziel vereinbar sind. BP stehen etwas besser da: Hier sind es 10 bis 20 Prozent. [2] In einer Studie eines anderen britischen Thinktanks, CDP (vormals Carbon Disclosure Project), schneiden die europäischen Konzerne dennoch gut ab. CDP hat untersucht wie gut Öl- und Gaskonzerne auf eine Klimapolitik vorbereitet sind, die sich an den Zielen des Paris Abkommens orientiert. Auf der ersten fünf Plätzen liegen ausschliesslich Konzerne aus Europa: Equinor, Total, Shell, Eni und Repsol. [9] Das liegt allerdings auch daran, dass die grossen US-Konzerne ExxonMobil und Chevron bislang nicht ins Stromgeschäft investieren.

Diese investierten dafür noch letztes Jahr in Lobbying Massnahmen, die eine ehrgeizige Klimapolitik verhindern sollen. Das taten auch BP und in geringerem Mass Shell und Total. Dies ist das Ergebnis einer Studie der britischen Anti-Lobbying Organisation Influence Map. [10] Shell hat mittlerweile allerdings angekündigt, aus Industrieverbänden auszutreten, die das Paris Abkommen nicht unterstützen. [11] Auf Druck von Investoren hat sich der Konzern zudem Emissionsziele gesetzt, die auch die Emissionen beim Verbrauch von Shells Produkten umfassen, also der Verbrennung von Öl und Gas („Scope 3 Emissionen“). Damit diese Ziele auch eingehalten werden, hat Shell zudem die Entlohnung seines Managements an deren Erreichung gekoppelt. Andrew Logan, vom Investorenverband Ceres, lobt die Firma denn auch: „Shell ist die einzige Firma in der Industrie, die bereit war diese philosophische Wasserscheide zu überschreiten“ und die Emissionen beim Verbrauch mitzuberücksichtigen. [3] Damit dieser sinkt, ist Shell sogar dafür, dass in Grossbritannien der Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren nicht erst ab dem Jahr 2040 verboten wird. Während der letztjährigen Klimakonferenz sagte Shell-Chef van Beurden: „Wenn man das früher machen könnte, wäre das natürlich willkommen.“ [12] Nicht alle seiner Kollegen werden dieser Meinung sein. mic

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[1] energypost, 29.05.2018: Big Oil pivots to electricity, Total leads the way

[2] Carbon Tracker, 17.07.2018: 2 Degrees of Separation: Company-level transition risk July 2018 update

[3] Axios, 19.02.2019: Shell leads big oil in clean energy shift

[4] Bloomberg, 12.03.2019: Shell Says It Can Be World’s Top Power Producer and Profit

[5] Bloomberg, 12.03.2019: Big Oil’s Big Issue With Embracing ‘Big Energy’

[6] Platts, 20.03.2019: Big oil’s electric dreams could create new energy cartels

[7] Reuters, 04.04.2019: From molecules to electrons; can Big Oil become Big Power?

[8] Goldman Sachs, 01.11.2018: Re-imagining Big Oils – How Energy Companies can successfully adapt to climate change (PDF)

[9] CDP, 12.11.2018: European oil majors spending up to 7% on low carbon but wider industry needs to step up

[10] InfluenceMap, März 2019: Big Oil’s Real Agenda on Climate Change

[11] Reuters, 02.04.2019: Citing climate differences, Shell walks away from U.S. refining lobby

[12] Guardian, 05.07.2018: Shell would support UK bringing forward petrol ban from 2040