Türkei wird zur Gaszentrale Europas

Gas aus Zentralasien und vielleicht aus Russland wird künftig durch die Türkei nach Europa gepumpt

Russland will die Ukraine umgehen, wenn es Europa mit Gas beliefert. Doch der Bau einer Pipeline nach Bulgarien wurde gestoppt. Nun hofft Russland, Europa über die Türkei beliefern zu können. Doch dazu müsste Europa in Milliardeninvestitionen einwilligen.

Die Diversifizierung der europäischen Gasimporte ist am Dienstag (17.3.) ein Stück voran gekommen: In der Türkei begann der Bau der Trans-Anatolien-Pipeline Tanap. Diese Röhre beginnt an der türkisch-georgischen Grenze und transportiert Gas aus Aserbaidschan in den Westen der Türkei (siehe Karte). Die 1850 Kilometer lange Pipeline soll 2018 fertig sein und rund zehn Milliarden Dollar kosten. Ab 2019 fliessen dann jährlich 16 Milliarden Kubikmeter Gas westwärts. Davon bekommt die Türkei sechs Milliarden und die EU zehn Milliarden Kubikmeter. Die EU übernimmt ihren Anteil an der türkisch-griechischen Grenze und transportiert das Gas dann durch die (noch zu bauende) Trans-Adria-Pipeline Tap über Albanien und durch die Adria nach Süditalien. Dort wird das Gas in das europäische Gasnetz eingespeist. Ab 2020 sollte damit der sogenannte ‚südliche Gaskorridor‘ die Abhängigkeit Europas von russischem Gas reduzieren. Dies wäre dann der vierte Korridor für Gasimporte. Die anderen drei kommen aus Russland, Norwegen und Nordafrika.

Ready to go: Russland hat bereits Schiffe für den Bau einer Pipeline durchs Schwarze Meer gechartert. Diese Kosten Tausende pro Tag. Daher würde Russland gerne schnell mit dem Bau von Turkish Stream beginnen. (Foto: Allseas)
Ready to go: Russland hat bereits Schiffe für den Bau einer Pipeline durchs Schwarze Meer gechartert. Diese Kosten Tausende pro Tag. Daher würde Russland gerne schnell mit dem Bau von Turkish Stream beginnen. (Foto: Allseas)

Der Baubeginn von Tanap stellt eine Niederlage für Russland dar, denn neuerdings will auch Russland Gas über die Türkei nach Europa exportieren. Ursprünglich plante Russland, Gas durch eine Pipeline namens ‚South Stream‘ nach Bulgarien zu pumpen. Doch in Folge der Ukrainekrise stoppte der russische Präsident Vladimir Putin im Dezember 2014 dann abrupt den Bau von South Stream. Kurz darauf gaben Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Pläne für den Bau einer Pipeline von Russland in die Türkei bekannt, ‚Turkish Stream‘. Diese Pipeline soll wie Tanap die Türkei aber auch Europa mit Gas versorgen. Der russische Botschafter für die EU, Vladimir Chizrov, versuchte denn auch Tanap schlecht zu reden: Die Pipeline sei „aus technischer Sicht eine extreme Herausforderung“ und „exorbitant teuer“. [1] Derweil sieht der türkische Energieminister Taner Yildiz keine Konkurrenz zwischen den beiden Projekten. [1] Dabei sollen durch Turkish Stream sogar 63 Milliarden Kubikmeter Gas in die Türkei fliessen, 50 Milliarden davon für Europa. Das Problem: An der türkisch-griechischen Grenze gibt es aber nicht die nötige Infrastruktur, um soviel Gas weiter zu transportieren.

Von Baku nach Brindisi: Dank Tanap fliesst ab 2020 Gas aus Zentralasien nach Europa. Damit wird Europa unabhängiger von russischem Gas. (Karte: Wikipedia)
Von Baku nach Brindisi: Dank Tanap fliesst ab 2020 Gas aus Zentralasien nach Europa. Damit wird Europa unabhängiger von russischem Gas. (Karte: Wikipedia)

Damit die EU die erforderlichen Milliarden in diese Infrastruktur investiert, hat Gazprom angekündigt ab 2019 kein Gas mehr durch die Ukraine nach Europa zu liefern. Europa wäre damit gezwungen den grössten Teil der Gasimporte aus Russland statt an der ukrainischen Grenze und durch bestehende Pipelines an der türkisch-griechischen Grenze und durch neue Pipelines in Empfang zu nehmen. Die EU zeigte sich ob dieser Aussicht denn auch irritiert: „Wir sind gute Kunden. Wir zahlen viel Geld. Wir zahlen pünktlich und in harter Währung. Daher denke ich, wir sollten entsprechend behandelt werden.“, sagte der für die Energieunion verantwortliche Vizepräsident der EU-Kommission Maroš Šefčovič. [2] Ausserdem haben viele europäische Gaskonzerne langfristige Lieferverträge mit Gazprom. „Ich wäre sehr erstaunt, wenn Firmen, mit Verträgen die weit über das Jahr 2019 hinausgehen, morgen ihre Nachfrage von der Ukraine in die Türkei verlagern und froh wären dies zu tun.“, sagt Oliver Koch, der Chef der EU-Energieabteilung. [3] Hinzu kommt, dass immer mehr Alternativen zu russischem Gas zur Verfügung stehen. Zum einen liesse sich durch Tanap auch Gas aus Turkmenistan oder aus den kurdischen Provinzen im Irak Richtung Europa befördern. Falls eine Beilegung des Atomstreits mit dem Iran gelingt, bestünde sogar die Möglichkeit, dass iranisches Gas durch Tanap fliesst. Und zum anderen fällt der Preis für Flüssiggas: Seit Januar 2014 ist der Preis von rund 50 auf 30 US-Cents pro Kubikmeter Gas gefallen. Da die globale Flüssiggas-Exportkapazität weiter ansteigt, ist auch nicht mit einem baldigen Anstieg der Preise zu rechnen. [4]

Noch ist also unklar, ob der russische Plan aufgeht, die Ukraine zu umgehen indem Europa mit dem Umweg über die Türkei beliefert wird. Einen klaren Gewinner gibt es aber schon heute: die Türkei. Am Mittwoch (18.3.) wurde bekannt, dass Russland der Türkei einen Rabatt von 10,25 Prozent auf den Gaspreis einräumt. Denn am liebsten würde Russland morgen mit dem Bau von Turkish Stream anfangen. Die Schiffe für den Bau von South Stream wurden bereits gechartert und könnten jederzeit mit dem Bau einer Pipeline durch das Schwarze Meer beginnen, egal ob nach Bulgarien oder in die Türkei. Doch die Türkei dürfte Russland noch eine Weile zappeln lassen, während die Charterkosten für die Spezialschiffe weiterlaufen. Vielleicht lässt sich ja noch ein bisschen mehr Rabatt heraushandeln. mic

 

Russland und die Ukraine verhandeln wieder über Gas

Unter Vermittlung der EU haben am Freitag (20.3.) Russland und die Ukraine ihre Verhandlungen über die Gaslieferungen an die Ukraine wieder aufgenommen. Ende März läuft das Abkommen aus, das die russischen Gasexporte in die Ukraine während der Wintermonate geregelt hat. Nun strebt die EU ein Abkommen an, das nicht nur einige Monate sondern bis Herbst nächsten Jahres gilt. Dann entscheidet ein internationales Schiedsgericht, ob Russland seine Marktmacht gegenüber der Ukraine missbraucht und überhöhte Preise gefordert hat. Die Verhandlungsposition der Ukraine hat sich im Vergleich zum Herbst letzten Jahres verbessert. Das Land bezieht mittlerweile einen Teil seines Gasbedarfs aus der EU, insbesondere aus Slowakien. Zudem ist der ukrainische Gasbedarf gesunken, da die von Separatisten kontrollierten Gebiete Donetsk und Luhansk ihr Gas direkt aus Russland beziehen. Die Ukraine geht denn auch selbstbewusst in die Verhandlungen. Zum einen will sie den Gaspreis auf von 27 auf rund 25 US-Cents pro Kubikmeter drücken zu können. [5] Und zum anderen will Kiew die Gebühr für den Transit von russischem Gas in die EU um ein Drittel erhöhen. [5] Zumindest beim Gaspreis signalisiert Russland bereits Kompromissbereitschaft: “Hinsichtlich eines Rabatts – dieser Wird von der Regierung gewährt. Das ist unser guter Wille.“, sagte der russische Premierminister Dmitri Medvedev im Vorfeld der Verhandlungen. [6] mic

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[1] Euractiv, 17.03.2015: Turkey and Azerbaijan begin construction of TANAP pipeline

[2] Project Syndicate, 26.02.2015: Putin’s Gas Problem

[3] Reuters, 13.02.2015: Even with Turkish Stream, Russia can’t avoid sending gas via Ukraine

[4] The Economist, 28.02.2015: Golden scenarios

[5] Reuters, 11.03.2015: Ukraine wants to discuss raising Russian gas transit tariff 30 pct

[6] The Moscow Times, 18.03.2015: Russia Ponders Discount as Ukraine Winter Gas Deal Set to Expire