Klimakonferenz koppelt sich von Teil der Wirklichkeit ab

Die Menschen wollen mehr Klimaschutz aber verhandelt wird über bessere Regeln

Das Jahr 2019 eignet sich schlecht für eine Klimakonferenz, in der es primär um technische Details geht. Doch die stehen nun mal auf der Agenda. Dieses Dilemma wird in Madrid zunehmend zu einem Problem.

Wo die Verhandlungen bei der Klimakonferenz in Madrid stehen, wissen nur wenige Minister. Diese versuchen bei ihren Kollegen auszuloten, ob und wo Raum für Kompromisse besteht. Drei Teams aus je zwei Ministern versuchen so, die Verhandlungen über die Kohlenstoffmärkte, über Schäden und Verluste und über die Klimaziele noch zu retten. Ob das gelingt, ist unklar. In Madrids Messehallen hört man mittlerweile das Wort „Kopenhagen“. Dort scheiterte vor genau zehn Jahren eine Klimakonferenz spektakulär. Ein Delegierter meinte, vielleicht „brauche der Verhandlungsprozess einen Fehlschlag, um alle wieder zu motivieren, es besser zu machen“.

Im Gegensatz dazu signalisierten viele Länder ihre Entschlossenheit beim Kampf gegen die Klimakrise. Die langfristig wohl wichtigste Ankündigung erfolgte allerdings nicht in Madrid sondern in Brüssel. Dort stellte die neue Chefin der EU-Kommission Ursula von der Leyen Europas „New Deal“ vor. Dieser wurde von vielen Umwelt- und Wirtschaftsverbänden begrüßt. Martin Porter von der European Corporate Leaders Group sagte etwa: „Dieser weitreichende Plan kann als Europas neue Wachstumsstrategie dienen.“ Noch ist der New Deal aber nur ein Plan der EU-Kommission. Inwiefern auch die EU-Länder dahinter stehen, könnte sich allerdings schon morgen zeigen. Dann soll bei einem EU-Gipfel Klimaneutralität bis 2050 beschlossen werden – ein Bestandteil des Plans.

In Madrid verkündeten derweil diverse Länderallianzen den Beitritt weiterer Staaten. Den Anfang machte die Carbon Neutrality Coalition, deren Mitglieder bis 2050 klimaneutral werden wollen. Die Ländergruppe kommt dank fünf neuen nun auf 29 Mitglieder inklusive Deutschland. Neu hinzugekommen sind: Fidschi, Irland, Monaco, die Schweiz und Südkorea. Bei deren Vorstellung stellte Laurence Tubiana, die „Architektin“ des Paris Abkommens und heutige Chefin der European Climate Foundation, aber auch klar, dass es nicht nur um das Ziel für das Jahr 2050 gehen kann: „Es geht nicht nur um ein langfristiges Ziel, es geht auch um kurzfristiges Handeln.“ Dazu verpflichten sich die Mitglieder der Climate Ambition Alliance, die nächstes Jahr ein neues Klimaziel für das Jahr 2030 verabschieden wollen. Mittlerweile gehören 73 Länder inklusive der EU zu diesem Club, acht mehr als noch im September.

Gar von „exponentiellem Wachstum“ sprach derweil eine Initiative der Wirtschaft. We Mean Business vermeldete, dass sich jetzt 177 Unternehmen dazu verpflichten, ihre Klimastrategie am 1,5-Grad-Ziel des Paris Abkommens auszurichten. Das sind mehr als doppelt so viele wie noch im September. Die direkten Emissionen dieser Firmen entsprechen denen Frankreichs. Käufer für deren Aktien gibt es auch: Eine Gruppe institutioneller Investoren, die Net Zero Asset Owner Alliance, strebt für das Jahr 2050 klimaneutrale Anlageportfolios an. Diese Investoren verwalten 4000 Milliarden Dollar. Das entspricht knapp einem Viertel der EU-Wirtschaftsleistung. Aus der Wirtschaft kam zudem eine klare Ansage an die Politik: Die „letzte Gelegenheit auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen“ komme schnell näher, sagte Lise Kingo, vom UN Global Compact. Daher müssten Firmen „Aktivisten für die Zukunft“ sein und die Wirtschaftsführer sollten ihre Regierungen „herausfordern, mit den Klimazielen der Wirtschaft gleichzuziehen“.

In den Klimaverhandlungen haben die angesprochenen Regierungen allerdings noch Mühe, den Forderungen der Aktivisten in den Teppichetagen der Wirtschaft und bei den Freitagsdemonstrationen auf der Straße gerecht zu werden. Alden Meyer vom Wissenschaftlerverband Union of Concerned Scientists sagte in Madrid: „Ich bin seit 1991 an diesen Verhandlungen. Noch nie habe ich die beinahe totale Entkoppelung gesehen zwischen dem, was die Wissenschaft und die Menschen verlangen, und dem, was die Verhandlungen liefern.“ Bemerkbar macht sich dies, mittlerweile aber auch innerhalb der Madrider Messehallen: Am Mittwoch kam es dort zu einer unangemeldeten Demonstration von Jugendlichen. mic

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