IEA versucht sich wieder an Vorhersage

Die IEA unterschätzt seit Jahren systematisch das Wachstum der Erneuerbaren

Computermodelle sind nur so gut wie die Zahlen, mit denen man sie füttert. Das gilt auch für das Basiszenario der Internationalen Energieagentur IEA. Dieses unterschätzt den Kostenverfall bei Solaranlagen und ignoriert, dass Solarkraft derzeit exponentiell wächst.

Die Menschen wollten schon immer wissen, was die Zukunft bringt. In der Antike vertrauten sie etwa dem Orakel von Delphi. Dort versetzte sich eine Apollo-Priesterin in Trance, um dann kryptische Weissagungen von sich zu geben. Heute benutzt man Computermodelle, die in pseudo-präzisen Zahlen die Zukunft beschreiben. Die Trefferquote ist oft ähnlich wie etwa das Beispiel der Internationalen Energieagentur IEA zeigt. Diese veröffentlicht jedes Jahr eine Vorhersage zur zukünftigen Entwicklung der Energiebranche. Dabei unterschätzt sie jedes Mal das Wachstum der Erneuerbaren. Wer eine verlässliche Vorhersage sucht, sollte es hiermit versuchen: Nächstes Jahr wird die IEA ihre Prognose für die Erneuerbaren wieder nach oben korrigieren, so wie sie dies seit 2004 tut.

Expertin. Was die Pythia wohl zum Kostenverfall bei Solaranlagen sagt? (Statue: Marcello alias Adèle d'Affry, Duchesse de Castiglione-Colonna; Foto: Mussklprozz / Wikimedia)
Expertin. Was die Pythia wohl zum Kostenverfall bei Solaranlagen sagt? (Statue: Marcello alias Adèle d’Affry, Duchesse de Castiglione-Colonna; Foto: Mussklprozz / Wikimedia)

Besonders eindrücklich zeigt dies Auke Hoekstra von der Technischen Universität Eindhoven in einer Grafik. [1] Dort sieht man, dass die IEA jedes Jahr davon ausgeht, der Zubau an Solaranlagen habe einen Höhepunkt erreicht und bleibe für die kommenden Jahre weitgehend unverändert. Im folgenden Jahr stellen die IEA Modellierer dann erstaunt fest, dass der Zubau deutlich gestiegen ist und korrigieren ihre Zahlen nach oben. Dass der Zubau bei Solaranlagen derzeit einer exponentiellen Kurve folgt, ist ihnen in den letzten zehn Jahren allerdings nicht aufgefallen. Die IEA antwortet darauf, dass es sich bei ihrem ‚Ausblick‘ um ein Szenario und nicht um eine Vorhersage handelt. Dem widerspricht Michael Liebreich, von ‚Bloomberg New Energy Finance‘ (Bnef), einem Think Tank, der ebenfalls Prognosen zu unserer Energiezukunft berechnet: „Wenn es wie eine Vorhersage aussieht, schwimmt und quakt, dann ist es eine Vorhersage“, und empfiehlt den IEA-Kollegen in Bezug auf ihr Modell: „Es kommt Mist raus? Dann hört auf, Mist reinzutun.“ [2]

Höhenrausch. Jedes Jahr geht die IEA davon aus, dass der Solar-Zubau einen Höhepunkt erreicht hat und nun in etwa gleich bleibt. Das offensichtlich exponentielle Wachstum können die IEA Modellierer nicht erkennen. (Grafik: Auke Hoekstra)
Höhenrausch. Jedes Jahr geht die IEA davon aus, dass der Solar-Zubau einen Höhepunkt erreicht hat und nun in etwa gleich bleibt. Das offensichtlich exponentielle Wachstum können die IEA Modellierer nicht erkennen. (Grafik: Auke Hoekstra)

Liebreich geht es dabei aber nicht nur darum, über einen Konkurrenten herzuziehen. „Schlechte Vorhersagen von Organisationen mit grosser Autorität haben Konsequenzen. Sie verstärken sich selbst.“ [1] Wenn die Erneuerbaren systematisch unterschätzt würden, „schreckt das Politiker, Investoren und Geschäftleute davon ab, sie zu unterstützen“. Damit stellt sich die Frage, warum die IEA Prognosen so verlässlich falsch sind. Leider sagt die IEA aber nicht, wie ihr Computermodell genau funktioniert und mit welchen Annahmen sie arbeitet. Dennoch gibt es Anhaltspunkte: Gemäss Tim Buckley vom US-Forschungsinstitut Ieefa unterschätzt die IEA den Kostenverfall bei Solaranlagen: „Das Ieefa würde die Kostenreduktion bei 5 bis 10 Prozent pro Jahr ansetzen – doppelt so hoch wie die 4 Prozent in der IEA Prognose.“ [3]

Der britische Think Tank ‚Carbon Tracker‘ weist derweil auf die IEA-Annahme linearen Wachstums hin. Carbon Tracker hat rund ein Dutzend Prognosen zum Wachstum der Erneuerbaren untersucht und teilt diese in drei Gruppen ein: Szenarien mit 6 bis 8 Prozent Wachstum wie das der IEA; Szenarien mit 10 Prozent Wachstum wie die der Ölkonzerne Shell und Statoil oder dem von Bnef; und schliesslich Szenarien mit 13 bis 14 Prozent Wachstum wie das der Berater von Ecofys. Dabei sei „wichtig festzuhalten, dass die Szenarien mit hohem Wachstum nicht-linear sind und zunehmende Wachstumsraten vorhersagen.“ [4 s. S. 47]

Wie Carbon Tracker legt auch Liebreich der IEA nahe, ihr Modell zu ändern. Dabei verweist er ausgerechnet auf den grossen Gegenspieler der IEA als gutes Beispiel: die Opec. Diese hat letztes Jahr ihre Vorhersage für Elektroautos nach oben korrigiert: von weniger als 50 Millionen im Jahr 2040 auf über 250 Millionen – ein offensichtlich nicht-linearer Sprung. Liebreich meint, das sei „noch immer zu wenig“ aber konstatiert: Die Opec habe zumindest eingeräumt, „dass die Zukunft nicht wie die Vergangenheit aussieht.“ [2]

Die IEA bleibt derweil bei ihrem Vorgehen. Einem Trailer für den im November erscheinenden ‚Weltenergieausblick‘ konnte man bereits das Wachstum der Erneuerbaren entnehmen. [5] Wieder hat die IEA ihre Prognose nach oben korrigiert, denn – völlig überraschend – war der Zubau letztes Jahr grösser als angenommen. Statt Anlagen mit einer Kapazität von knapp 50 Gigawatt gingen 74 Gigawatt neu ans Netz, 50 Prozent mehr als erwartet. [6] Damit war Solarkraft die Stromquelle mit dem höchsten Zuwachs überhaupt. Wer hätte sowas gedacht? mic

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[1] Auke Hoekstra, 12.06.2017: Photovoltaic growth: reality versus projections of the International Energy Agency

[2] Michael Liebreich, 27.09.2017: In Energy and Transportation, Stick it to the Orthodoxy!

[3] Carbon Brief, 26.10.2017: How have the IEA’s renewable forecasts changed?

[4] Carbon Tracker, Oktober 2015: Lost in Transition (PDF)

[5] IEA, Oktober 2017: Market Report Series: Renewables 2017

[6] Carbon Brief, 04.10.2017: IEA: Renewable electricity set to grow 40% globally by 2022