Kritik an ‚Nord Stream 2‘ Deal wird lauter

Pipeline von Russland nach Deutschland sei „Verrat“ an anderen EU Mitgliedern

Seit mehreren Jahren versucht die EU ihre Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren. Doch nun wollen einige westeuropäische Energiekonzerne eine neue Gaspipeline bauen. Dieser Plan wird von osteuropäischen Politikern heftig kritisiert.

Eigentlich gibt es zwischen Russland und Europa genug Gaspipelines. Voll ausgelastet ist einzig die Yamal Pipeline durch Weissrussland nach Polen. Nord Stream 1 von Russland nach Deutschland und das Pipeline Netzwerk durch die Ukraine haben noch freie Kapazitäten. [1] Mit einer deutlichen Zunahme der Gaslieferungen von Russland nach Europa ist ebenfalls nicht zu rechnen. Im Gegenteil: Europa will seine Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren. Vor diesem Hintergrund wirkte die Ankündigung, die Kapazität von Nord Stream auf 110 Milliarden Kubikmeter Gas zu verdoppeln, wie eine Überraschung. Am Freitag letzter Woche haben der russische Gasmonopolist Gazprom und einige westliche Energiekonzerne eine dahingehende Aktionärsvereinbarung (englisch shareholders‘ agreement) getroffen. [2] An der neu zu gründenden ‚New European Pipeline AG‘ erhält Gazprom 51 Prozent der Anteile, Shell, OMV, Eon und die Basf Tochter Wintershall je zehn Prozent und Engie (vormals Gaz de France) neun Prozent.

Bald sind's vier. Derzeit besteht Nord Stream aus zwei Röhren mit einer Kapazität von 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr. Deren Verdoppelung ist für manche osteuropäische Politiker "Verrat". (Foto: Nord Stream AG)
Bald sind’s vier. Derzeit besteht Nord Stream aus zwei Röhren mit einer Kapazität von 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr. Deren Verdoppelung ist für manche osteuropäische Politiker “Verrat”. (Foto: Nord Stream AG)

Woher die Nachfrage nach dem Gas kommen soll erklärt Gazprom Chef Alexey Miller so: „Es ist wichtig, dass es sich hier vor allem um neue (Gas-) Volumen handelt, die Europa nachfragen wird wegen des kontinuierlichen Rückgangs in der einheimischen Produktion.“ [2] Diesen Rückgang gibt es in der EU tatsächlich: In den letzten zwölf Jahren ist die Gasförderung um mehr als ein Viertel gesunken. [3] Daraus einen steigende Nachfrage nach russischem Gas abzuleiten ist allerdings gewagt. Zum einen sinkt der Gasverbrauch in der EU seit fünf Jahren [4] und zum anderen hat die EU noch andere Gaslieferanten: In Norwegen steigt die Gasproduktion Jahr-für-Jahr und das Fjordland hat dieses Jahr Russland als wichtigsten Gaslieferanten der EU überrundet. [5] Zum anderen herrscht derzeit auf dem Weltmarkt eine Flüssiggasschwemme, die aus Sicht von Gasmarktexperten noch für viele Jahre anhalten wird. Flüssiggas wird mit Tankschiffen transportiert und Europa hat noch freie Kapazitäten für die Regasifizierung von Flüssiggas. Ausserdem wird auch das Angebot an Pipelinegas zunehmen: Derzeit ist eine Pipeline von Aserbaidschan nach Süditalien im Bau. Freie Kapazitäten gibt es zudem in den Gaspipelines aus Algerien und Libyen.

Der geplante Bau von Nord Stream 2 dürfte daher einen anderen Grund haben. Die russische Regierung versucht seit Jahren die Ukraine als Transitland für russisches Gas zu umgehen. Erst sollte dies mit der South Stream Pipeline von Russland nach Bulgarien geschehen. Nachdem deren Bau abgesagt wurde, kündigte der russische Präsident Vladimir Putin dann den Bau von Turkish Stream an. Diese Pipeline sollte Gas über die Türkei nach Griechenland bringen. Trotz mehrfacher Ankündigungen eines kurz bevorstehenden Baubeginns, gibt es aber immer noch kein Abkommen zwischen der Türkei und Russland über diese Pipeline. Damit blieb nur noch Nord Stream 2. Aus Sicht des EU Energiekommissars Maroš Šefčovič wirft diese Pipeline aber viele Fragen auf: „Wie entspricht Nord Stream 2 unserer Strategie einer Diversifizierung des Angebots? Welche Schlüsse sollen wir daraus ziehen, wenn das Ziel eines solchen Projekts darin besteht, die ukrainische Transitroute abzustellen? Was bedeutet das für Zentral- und Osteuropa?“ sagte Šefčovič  gegenüber Politico. [6] Die letzte Frage beantwortet der Premierminister von Slowakien Robert Fico: „Über Monate gab es Gespräche im Europäischen Rat über die Notwendigkeit, dass die Ukraine ein Gas-Transitland bleibt. Plötzlich gibt es eine Ankündigung von Gazprom über einen Vertrag mit Firmen aus westeuropäischen EU-Mitgliedsländern. Die lassen uns wie Idioten aussehen.“ [7] „Ich bin überzeugt, dass (diese Firmen) andere EU Länder verraten haben.“ [8] Ähnlich äussert sich der ukrainische Ministerpräsident Arseniy Yatsenyuk: „Dieses Projekt ist Anti-Ukraine und Anti-Europa.“ [8] Der Widerstand dieser beiden Länder ist wenig allerdings erstaunlich. Slowakien und die Ukraine verdienen gut an den Transitgebühren für russisches Gas.

Doch es gibt noch weitere Kritikpunkte an Nord Stream 2. Der Chef der ukrainischen Gasfirma Naftogaz, Andriy Kobolyev, sagt: „Sowohl Nord Stream 2 als auch Turkish Stream bringen zusätzliche Optionen und mehr Auswahl ist grossartig. Es ist allerdings nicht für die europäischen Konsumenten grossartig, sondern für deren russischen Lieferanten. Russland wird entscheiden wo, an wen und unter welchen politischen Konditionen es Gas in Europa verkauft. Je mehr Auswahl Russland bei der Gaslieferung hat, desto besser ist die russische Verhandlungsposition gegenüber europäischen Käufern.“ [9] Der ehemalige tschechische Premierminister Mirek Topolanek warnt derweil vor den Auswirkungen auf die Energieunion: Nord Stream 2 „könnte den Nord-Süd Gaskorridor versenken, der die Gas-Importquellen aus der Nordsee, der Adria und dem Schwarzen Meer mit dem Rest Europas verbinden würde.“ Eine ähnliche Sorge hat auch Šefčovič: Mit Nord Stream 2 „würden wir die Gasbalance in Zentral- und Osteuropa komplett verändern. Ich hoffe, dass die (daran beteiligten) Firmen ihre Verantwortung verstehen für die Versorgung von ganz Europa und nicht nur für Teile Europas.“ mic

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Dann abonnieren Sie doch weltinnenpolitik.net per RSS
oder folgen sie der Facebook Seite

[1] IEA, 11.09.2015: Gas trade flows in Europe (interaktive Karte)

[2] BASF, 04.09.2015: Gazprom, BASF, E.ON, ENGIE, OMV and Shell sign Shareholders’ Agreement on the Nord Stream 2 project

[3] Eurostat, 05.06.2015: Development of the production of primary energy (by fuel type)

[4] Energy Collective, 16.06.2015: Where is Future EU Gas Demand Going? Implications for Russian and US LNG Exports to Europe

[5] Reuters, 22.05.2015: Norway overtakes Russia as western Europe’s top gas supplier

[6] Politico, 07.09.2015: Šefčovič warns energy firms over Nord Stream II participation

[7] Reuters, 10.09.2015: Slovak PM calls Nordstream expansion deal a betrayal

[8] AFP, 11.09.2015: Ukraine PM calls second Russia-Germany pipeline ‘anti-European’

[9] Natural Gas Europe, 10.09.2015: Eastern companies, politicians voice opposition to Nord Stream expansion