Europa ist nicht protektionistischer als Amerika

Der Durchschnittszoll auf alle Produkte aus allen Ländern ist in beiden identisch

Die USA haben ein erhebliches Defizit beim Güterhandel mit der EU. US-Präsident Donald Trump wirft der EU daher Protektionismus vor. Erhärten lässt sich dieser Vorwurf aber nicht.

Wenn in Europa ein Land ein Handelsdefizit hat, ergeht der Ruf, die Wettbewerbsfähigkeit müsse gestärkt werden. In den USA unter Präsident Donald Trump ist das anders. Er macht Handelsabkommen oder die Welthandelsorganisation WTO für das US-Handelsdefizit verantwortlich. Dies gilt auch für den US-EU Handel – die grösste Handelsbeziehung der Welt. „Die EU war besonders hart mit den USA“, sagte Trump am Dienstag. „Sie macht es fast unmöglich mit ihr Geschäfte zu machen.“ [1] Genauere Angaben hat er allerdings keine gemacht. Im Sinn hatte er aber wohl den Zoll auf Autos. Die EU hat hier einen Satz von zehn Prozent, während der US-Zollsatz bei 2,5 Prozent liegt. Daraus zu schliessen, der EU Markt sei generell gegenüber Importen abgeschottet, wäre aber vorschnell.

Besonders hart. Deutscher Zollbeamter auf der Jagd nach US-Produkten. (Foto: Hafen Hamburg)
Besonders hart. Deutscher Zollbeamter auf der Jagd nach US-Produkten. (Foto: Hafen Hamburg)

Der US-Markt und der EU-Binnemarkt gleichen sich in vielerlei Hinsicht. Sie sind fast gleich gross. In beiden macht der Aussenhandel beinahe den gleichen Anteil aus und der durchschnittliche, effektiv bezahlte Zoll auf Importe ist sogar identisch: 1.6 Prozent (Weltbank, 2016*). [2] „Beides sind relativ offene Märkte, was aber nicht heisst, dass nicht bei einzelnen Produkten hohe Hürden für den Marktzugang bestehen“, sagt Professor Michael Hahn, der Chef des Instituts für Europa und Wirtschaftsvölkerrecht der Universität Bern. Die EU hat etwa höhere Schutzmauern gegen Agrarimporte bestehend aus relativ hohen Zollsätzen (siehe Tabelle) sowie Quoten. Dafür sind die EU-Zölle auf Industriegüter etwas niedriger. Hahn sagt denn auch: „Trumps Behauptung, die EU sei ein geschlossener Markt und die USA seien sehr viel offener, ist in dieser Allgemeinheit unzutreffend.“ Hahn glaubt auch nicht, dass die USA in der Vergangenheit schlecht verhandelt hätten: „Die USA haben immer sehr genau darauf geachtet, dass ein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen besteht.“

Die grösste Handelsbeziehung der Welt

ProduktEU-Exporte in die USA (Euro)US-Zollsatz für EU-Produkte*EU-Importe aus den USA (Euro)EU Zollsatz für US-Produkte 2016*Handels-überschuss aus EU-Sicht (Euro)
Agrar-produkte**21.4 Mrd.2.20%12.3 Mrd.4.70%9.1 Mrd.
Industrie-produkte**342.1 Mrd.1.60%238.2 Mrd.1.40%103.9 Mrd.
Dienst-leistungen***218.0 Mrd.219.0 Mrd.-1.0 Mrd.
Total112.0 Mrd.
Überraschung. Die USA haben auch beim Handel mit Agrargütern ein Defizit gegenüber der EU. (Daten: WTO)

 

Die durchschnittlich tiefen Zölle dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass einzelne Produkte prohibitiven Sätzen unterliegen. So verlangen die USA etwa einen Zoll von 350 Prozent auf Tabak. [3] Auch die US-Erdnuss-Lobby war erfolgreich: Sie wird mit einem Satz von 143 Prozent vor fremdländischen Nüsschen geschützt. Derartiges gibt es aber auch in Europa. Weineinfuhren unterliegen einem Zoll von 32 Prozent und die europäische Seegurke profitiert von einem 26-Prozent-Satz. Frühere Handelskonflikte haben zudem ihre Spuren in den Zollsätzen hinterlassen. Im Jahr 1963 tobte der transatlantische Hähnchenkrieg, nachdem Deutschland und Frankreich den Import von US-Hähnchen erschwert hatten. Als Gegenmassnahme erhoben die USA dann einen Zoll von 25 Prozent auf Lieferwagen, den es heute noch gibt.

Lecker. Seegurken werden meist roh gegessen. Damit sie nicht vom Teller kriechen, werden sie vorher mit einem Salatblatt fixiert. (Foto: daqisheji / pixabay)
Lecker. Seegurken werden meist roh gegessen. Damit sie nicht vom Teller kriechen, werden sie vorher mit einem Salatblatt fixiert. (Foto: daqisheji / pixabay)

Trotz derartiger Spitzenwerte sind die Zölle in der EU und in den USA aber meist niedrig. Die EU hat vorletztes Jahr 53 Euro pro EU-Bürger an Zoll kassiert [4] während die USA pro US-Bürger 76 Euro mit Zöllen eingenommen haben[5]. Diese Durchschnittswerte verbergen allerdings, dass nicht alle Bürger gleichermassen von Zöllen betroffen sind. Eine Studie des US-Thinktanks ‚Centre for Economic Policy Research‘ zeigt, dass ärmere US-Bürger und vor allem alleinerziehende Mütter besonders viel an Zöllen zahlen. [6] Zum einen gelten höhere Zollsätze für Frauen- als für Männerkleidung und für Babykleidchen gilt gar ein Satz von 27.6 Prozent. Die angekündigten Zölle auf Stahl und Aluminium folgen dem gleichen Muster. Während einige Stahlbarone massiv davon profitieren, steigen die Preise für die breite Öffentlichkeit. Der republikanische Senator Ben Sasse nannte die Zölle denn auch eine „Steuererhöhung für amerikanische Familien“.

EU- und US-Zollsätze ausgewählter Produkte

HS CodeIndustrieprodukteEU-ZollUS-Zoll
72Eisen und Stahl0.3%0.3%
870321Autos10.0%2.5%
870421Lieferwagen13.5%25.0%
86Lokomotiven und Bahnwagen1.7%5.1%
Agrarprodukte
2403Tabak74.9%350.0%
1202Erdnüsse0%142.5%
160561Seegurken26.0%0%
804Datteln, Feigen Ananas, Avocados, Guava4.9%29.8%
2204Wein32.0%Zwischen 6.3 und 22.4 Cents pro Liter
Textilien
6103Anzüge für M?nner12.0%14.6%
620413Anzüge für Frauen12.0%17.0%
611130Babykleidung10.5%27.6%
Arme Babys. Die Logik hinter den verschiedenen Zollsätzen erschliesst sich auf den ersten Blick nicht. (Daten: WTO)

 

Zölle verzerren also nicht nur den Handel zwischen Staaten sondern auch die Verteilung des Wohlstands innerhalb eines Landes. Beides liesse sich durch Freihandelsabkommen vermeiden. Trumps Vorgänger, Barack Obama, wollte daher ein transpazifisches (TPP) und ein transatlantisches (TTIP) Abkommen schliessen. Doch Tump ist aus ersterem ausgestiegen und die TTIP Verhandlungen liegen auf Eis. Ausserdem droht er regelmässig das Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta und den Vertrag mit Korea zu kündigen. Er glaubt offensichtlich nicht, dass die US-Produzenten ohne Zollschutz auskommen. Damit wären wir wieder bei der Wettbewerbsfähigkeit: Hier sind die USA zuletzt tatsächlich zurückgefallen: Im ‚Bloomberg Innovation Index‘ ist das Land nicht mehr unter den ersten zehn. [7] Angeführt wird der Index von Südkorea und unter den ersten zehn sind fünf EU-Staaten sowie die Schweiz. Das ist aber weder die Schuld von Handelsverträgen noch des US-Auslands. Trump sollte daher eine Revision seines Slogans prüfen. Besser wäre wohl: Make America Smart Again. mic

* Bei diesem Wert handelt es sich um den tatsächlich bezahlten Zoll auf alle Importe aus allen Ländern. Der Wert liegt unter dem durchschnittlichen Zollsatz, weil viele Importe dank Freihandelsabkommen zollfrei eingeführt werden.

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[1] Politico, 06.03.2018: Swedish leader warns tariffs ‘will hurt us all,’ as Trump doubles down

[2] Weltbank, Stand 07.03.2018: Tariff rate, applied, weighted mean, all products (%)

[3] WTO, Stand 05.03.2018: Zollsätze der EU und der USA (Excel Tabelle)

[4] Die EU hatte im Jahr 2016 Einnahmen aus Zöllen und der Zuckerabgabe (Traditional Own Resources) von 20.094 Mrd. Euro. Dieser Wert entspricht drei Viertel der effektiven Zolleinnahmen der EU-Staaten von 26.792 Mrd. Euro. Quelle: EU, Stand 07.03.2017: EU expenditure and revenue 2014-2020

[5] Die USA hatten im Jahr 2016 Zolleinnahmen von 26.905 Mrd. Dollar. Quelle:

[6] CEPR, 12.01.2017: US tariffs are an arbitrary and regressive tax

[7] Bloomberg, 23.01.2018: The U.S. Drops Out of the Top 10 in Innovation Ranking

[8] WTO, undatiert: World Tariff Profiles 2017 (PDF) (siehe Seite 82 respektive Seite 177)