Die vier wichtigsten Berichte und Studien zur Klimakrise

Noch hat die Menschheit die Wahl zwischen zwei Arten fundamentaler Veränderungen

Die Wissenschaftler verstehen das Klima immer besser, während die vielen Studien und Berichte für Laien oft verwirrend sind. Es gibt allerdings vier Publikationen, die bei der Orientierung helfen.

Nicht nur der Meeresspiegel steigt in Folge der Klimaüberhitzung sondern auch die Zahl der wissenschaftlichen Studien und Klimaberichte. Damit wird das Verständnis für die Ursachen, Folgen und möglichen Lösungen der Klimakrise immer detaillierter. Gleichzeitig wird es aber auch immer schwieriger, den Überblick zu behalten und die Dramatik oder Nicht-Dramatik des Klimaproblems richtig einzuschätzen. Besteht wirklich Grund zur „Panik“, wie Greta Thunberg sagt, oder hat die Welt das Problem dank des Paris Abkommens nicht einigermaßen im Griff? Reicht es, die Erwärmung bei zwei Grad zu stoppen, oder muss sie wirklich auf 1,5 Grad begrenzt werden? Und schließlich: Wie hängen eigentlich das Klima, die Artenvielfalt, die Pole und Meere miteinander zusammen? Diese Fragen angesichts der vielen Publikationen zu beantworten, ist nicht einfach. Doch es gibt ein paar Leuchttürme, die die Orientierung erleichtern.

Der wichtigste ist der Sonderbericht zum 1,5 Grad Ziel des Paris Abkommens vom Weltklimarat (IPCC). [1] In Paris war es den Inselstaaten überraschend gelungen, den anderen Ländern das Versprechen abzuringen, „Anstrengungen zu unternehmen, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen“ statt nur auf zwei Grad. Was das genau bedeutet, war aber unklar, da sich die Klimaforscher davor immer auf das Zwei-Grad-Ziel konzentriert hatten. Daher wurde der IPCC beauftragt, den Wissensstand zu diesem 0,5-Grad-Unterschied zusammenzutragen. Die Ergebnisse waren bemerkenswert. Ein Beispiel: Bei 1,5 Grad Erwärmung verliert die Welt 70 Prozent aller Korallenriffe, die Kinderstube vieler Fischarten, und bei zwei Grad mehr als 99 Prozent. Gleichzeitig zeigte der Bericht, dass das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht werden kann. Dazu müssen die globalen Emissionen bis zum Jahr 2030 um 45 Prozent im Vergleich zum Jahr 2010 sinken und im Jahr 2050 bei Netto-Null liegen. Mit dem Erscheinen des Berichts im Oktober 2018 veränderte sich daher die Wahrnehmung der Klimakrise grundlegend: Vielen Menschen wurde nun bewusst, wie dringlich und bedrohlich die Klimakrise mittlerweile ist. Klimaneutralität bis 2050 gilt seither weltweit als Mindestanforderung an die Klimapolitik.

Ob die Erwärmung auf 1,5, Grad begrenzt werden kann, entscheidet sich aber nicht im Jahr 2050 sondern im kommenden Jahrzehnt. Mittlerweile ist der IPCC-Sonderbericht aber schon wieder zu alt, um hier als Richtschnur zu dienen. Diese Lücke schließt der jährlich zur Klimakonferenz erscheinende Bericht des UN-Umweltprogramms (Unep) zur „Emissionslücke“ (englisch „Emissions Gap“) zwischen den tatsächlichen und den 1,5-Grad kompatiblen Emissionen. [2] Dieser zeigte, dass die Emissionen immer noch steigen. Das gilt für alle Treibhausgase, also für CO2 wie auch für Methan, Lachgas und die „F-Gase“ und die Welt steuert auf 3,2 Grad Erwärmung zu. Noch ist das 1,5-Grad-Ziel aber erreichbar. Dazu müssen ab nächstem Jahr die globalen Treibhausgasemissionen Jahr für Jahr um 7,6 Prozent sinken. Wenn das nicht geschieht, lässt sich die Erwärmung nicht mehr auf 1,5 Grad begrenzen. Die aktuellen Klimapläne der Länder im Rahmen des Paris Abkommens reichen aber bei weitem nicht, um eine derart dramatische Reduktion der Emissionen zu erreichen. Unep-Chefin Inger Andersen sagt denn auch: „Die Größe der erforderlichen Reduktionen mag schockierend wirken, aber wir müssen es versuchen. Jeder weitere Aufschub macht noch größere, teurere und unwahrscheinlichere Reduktionen erforderlich.“ [2]

Der Unep-Bericht beruht auf der Methodologie des IPCC-Sonderberichts, wenn auch mit aktuelleren Daten. Damit teilt er sich auch dessen Schwäche: Der Weltklimarat lässt bei der Berechnung des verbleibenden CO2-Budgets der Menschheit eine „Klimahypothek“ von 100 Milliarden Tonnen CO2 außen vor. Der IPCC schreibt: „Die mögliche zusätzliche Freisetzung von Kohlenstoff aus Permafrost und Methan aus Feuchtgebieten würde das Budget um bis zu 100 Milliarden Tonnen CO2 in diesem Jahrhundert reduzieren und anschließend um noch mehr.“ [1] Das heißt: Selbst wenn die Menschheit ihre Emissionen gemäß dem Unep-Bericht senkt, muss sie der Atmosphäre anschließend noch 100 Milliarden Tonnen CO2 entziehen etwa durch Aufforstung. Diesen „Schönheitsfehler“ in der Berechnung des CO2-Budgets behebt eine Studie von Joeri Rogelj und anderen, die im Juli im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht wurde („Estimating and tracking the remaining carbon budget for stringent climate targets“). [3] Das Resultat: Die Menschheit muss ihre Emissionen nicht bis zum Jahr 2050 sondern schon bis Ende 2038 auf Netto-Null senken, wenn sie die Klimaerwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent auf 1,5 Grad begrenzen will. [4] Und wenn sie dieses Ziel mit einer zwei Drittel Wahrscheinlichkeit erreicht werden soll, dann muss die Weltwirtschaft sogar schon ab dem Jahr 2031 klimaneutral sein.

Das mag illusorisch klingen, könnte aber entscheidend sein – für den Fortbestand der menschlichen Zivilisation. Der IPCC lässt nämlich nicht nur die 100-Milliarden-Tonnen-Hypothek außen vor, sondern ignoriert auch weitgehend mögliche Kipppunkte im Klimasystem. Es ist derzeit noch unbekannt, ab wieviel Erwärmung der Permafrost großflächig beginnt zu tauen oder wann der Amazonas Regenwald verdorrt. Beides würde dazu führen, dass sich der Klimawandel selbst verstärkt. Diese Rückkoppelungseffekte lassen sich mit den computerbasierten Klimamodellen des IPCC aber schlecht erfassen und bleiben daher unberücksichtigt. Diese Lücke schließt die Studie „Pfade des Erdsystems im Anthropozän“ von Will Steffen, Johan Rockström, Hans-Joachim Schellnhuber und anderen. [5] Die Veröffentlichung vom August 2018 ist auch als „Heißzeit-Studie“ oder als „Hot House Earth Paper“ bekannt. Die Autoren postulieren darin, dass selbstverstärkende Rückkoppelungseffekte das Erdsystem an einen planetaren Kipppunkt bringen könnten. Wird dieser Punkt erreicht, erwärmt sich das Klima um fünf bis sechs Grad, ohne dass die Menschheit noch die Möglichkeit hätte, dies zu verhindern. Der Schwellenwert markiert also den „Punkt ohne Rückkehr“. Wo der Wert liegt, sei unsicher, „aber er könnte nur Jahrzehnte in der Zukunft liegen bei einer Klimaerwärmung von rund zwei Grad“.

Auch gemäß der Heißzeit-Studie kann die Menschheit also noch das Schlimmste verhindern. Schrittweise Veränderungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems reichten dafür aber nicht aus. Vielmehr sei eine „tiefe Transformation erforderlich, die auf einer fundamentalen Re-Orientierung der menschlichen Werte, des Verhaltens, der Institutionen, der Volkswirtschaften und Technologien beruht“.

Letztlich zeigen die vier Leuchttürme also die Menschheit vor einem Scheideweg: In jedem Fall wird sich das Leben fundamental ändern, die Frage ist nur wie. Entweder die Emissionen sinken ab jetzt jährlich um mehr als 7,6 Prozent. Oder die Menschheit verweigert sich dieser Transformation und nimmt in Kauf, dass weite Teile der Erde wegen der Heißzeit unbewohnbar werden. Die Entscheidung fällt nächstes Jahr. mic

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Dann abonnieren Sie doch weltinnenpolitik.net per RSS oder Email
oder folgen sie der Facebook Seite

[1] IPCC, 08.10.2018: Special Report: Global Warming of 1.5ºC – Summary for Policy Makers

[2] Unep, November 2019: Emissions Gap Report 2019 (PDF)

[3] Joeri Rogelj et al., 17.07.2019: Estimating and tracking the remaining carbon budget for stringent climate targets

[4] weltinnenpolitik.net, 02.09.2019: Die Welt muss deutlich vor 2050 klimaneutral sein

[5] Will Steffen et al., 14.08.2018: Trajectories of the Earth System in the Anthropocene