“Dem Frieden darf man nie trauen“

Nach Abschluss der ersten Woche der UN-Klimakonferenz in Paris zieht der Schweizer Umweltbotschafter Franz Perrez Bilanz

Franz Xaver Perrez
Franz Xaver Perrez

Franz Xaver Perrez, 48, ist der Leiter der Abteilung Internationales beim Bundesamt für Umwelt. Als Schweizer „Umweltbotschafter“ leitet er die Schweizer Delegation bei den Klimaverhandlungen und steht der Environmental Integrity Group vor, einer Ländergruppe. in der ersten Woche der Pariser Verhandlungen hat er ausserdem die Unterarbeitsgruppe zum Thema Emissionsreduktionen geführt.

Die Klimaschutzpläne der meisten Länder liegen bereits vor. Worüber wird in Paris eigentlich noch verhandelt?

Franz Perrez: Was die Länder vorgelegt haben sind ‘beabsichtigte (Klimaschutz-) Beiträge’. Die Pläne sind daher sehr unterschiedlich. Jetzt geht es darum, dass die Länder Klimaschutz nicht nur ‘beabsichtigen’, sondern zur Einreichung von Plänen und zu deren Umsetzung verpflichtet werden. Ausserdem muss es in Zukunft klarere Regeln für diese Klimapläne geben, damit sie untereinander vergleichbar sind.

Die Klimadiplomaten haben am Samstag ihre Verhandlungen abgeschlossen und das Ergebnis an die Minister übergeben. Alles läuft nach Plan. Trauen Sie dem Frieden?

Es war eine relativ erfolgreiche Woche, aber dem Frieden darf man nie trauen. Wir sind natürlich froh, dass wir uns auf ein Verhandlungsdokument einigen konnten. Doch dieses enthält noch viele offene Punkte. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass diese in den nächsten Tagen geklärt werden können.

Was halten Sie von dem Vertragsentwurf, der nun an die Minister geht?

Der Entwurf ist insofern gut, als dass er den Struktur und die wesentliche Elemente des Pariser Abkommens enthält. Alles ist drin. Aber die politischen Fragen sind noch nicht geklärt, in allen wesentlichen Fragen gibt es noch Optionen, welche weit auseinander liegen. Hier muss nun rasch eine Lösung gefunden werden.

Die Unterscheidung zwischen armen, nicht-so-armen und reichen Ländern ist der Hauptstreitpunkt in Paris. Manche wollen an der Zweiteilung in Industrie- und Entwicklungsländer wie in der UN-Klimakonvention aus dem Jahr 1992 festhalten. Andere wollen alle Länder gleich behandeln.

Das ist tatsächlich der Streitpunkt, an dem dieses Abkommen noch scheitern könnte. Nur wenn wir eine Lösung für diese Frage finden, werden wir am Ende der nächsten Woche ein Abkommen haben, sonst nicht. Die beiden Maximalpositionen werden sich aber nicht durchsetzen. Die undifferenzierte Gleichbehandlung aller Länder wird nicht akzeptiert werden. Ehrlich gesagt, das will auch niemand. Das steht zwar noch so an ein einigen Stellen im Text, aber das ist Verhandlungstaktik. Die Zweiteilung aus dem Jahr 1992 wird sich ebenfalls nicht durchsetzen. Für die Schweiz wäre das wohl ein Grund dem Abkommen nicht beizutreten. Die effektiven Unterschiede zwischen den Ländern sinnvoll zu reflektieren, das wird der Knackpunkt. Dabei ist äusserst wichtig: Es ist nicht ein Nord – Süd Konflikt. Es ist ein Konflikt zwischen den Ländern, die alle Länder gemäss ihrer Verantwortung und Kapazität in Pflicht nehmen wollen, und denjenigen, die auch in Zukunft keine entsprechende Pflichten akzeptieren wollen. Es gibt viele Entwicklungsländer, die wie wir ein ehrgeiziges Abkommen wollen.

Wie kann man «die Unterschiede sinnvoll reflektieren» – etwa bei der Reduktion der Emissionen?

Die Klimaschutzpläne der Länder wurden von diesen auf nationaler Ebene entwickelt. Das erlaubt ein Mass an Selbstdifferenzierung. Doch dann gibt es Grenzen: Wer heute schon ein Emissionsziel für die ganze Volkswirtschaft hat, darf nicht dahinter zurückfallen, und die anderen Länder sollten sich langsam in diese Richtung bewegen. Ein anderes Element sind die Ausnahmen für die ärmsten Länder und die kleinen Inselstaaten. Und schliesslich sollen diejenigen, die dies nötig haben, auch unterstützt werden. Das sind alles Elemente einer fairen Differenzierung. Es geht also darum ‘Modulatoren’ in den Text einzubauen, welche eine angemessene Flexibilität erlauben.

Mehrere Entwicklungsländer verlangen, dass die Klimafinanzierung nach dem Jahr 2020 ausgehend von 100 Milliarden Dollar weiter erhöht wird. Ist das möglich?

Ja, vorausgesetzt, dass der Geberkreis ausgeweitet wird. Derzeit sind nur die Industriestaaten dazu verpflichtet, Unterstützung für andere Länder zu leisten. Damit hat Griechenland die Pflicht Saudi Arabien finanziell zu unterstützen. Das ist offensichtlich absurd. Wenn der Betrag auf über 100 Milliarden erhöht werden soll, dann müssen sich auch die wohlhabenden Entwicklungsländer daran beteiligen.

Unter ‘Verluste und Schäden’ versteht man unabwendbare Verluste in Folge des Klimawandels etwa den Untergang von Inseln. Die Schweiz hat den Artikel zu ‘Verlusten und Schäden’ einklammern lassen, also dafür plädiert, dass er komplett gestrichen wird. Jetzt sieht es so aus als käme er doch. Ist das ein Problem?

Das Ergebnis von Paris wird auch die Thematik ‘Verluste und Schäden’ ansprechen. Dabei muss aber klar sein, dass nicht eine automatische Kompensation und Haftung geschaffen wird. Wenn das ausgeschlossen ist, dann können wir dem zustimmen. Dass die Schweiz den Artikel hat einklammern lassen ist keine spezielle Schweizer Position. Wir waren einfach die ersten, die gesprochen haben, aber alle Geberländer sind dieser Meinung. Wir haben damals auch nicht einfach blockiert sondern parallel einen Vorschlag gemacht, wie die Thematik sinnvoll mit Fokus auf Minimisierung von Verlusten und Schäden angegangen werden kann.

Die Mitglieder der Gruppe der Entwicklungsländer G77 haben oft diametral gegensätzliche Interessen, etwa die Inselstaaten und die Ölexporteure. Wird G77 zerfallen?

Diese Gruppe könnte irgendwann auseinander fallen. Einerseits wäre dies vielleicht gut. Um die Gruppe der Gleichgesinnten Entwicklungsländer (Indien, Saudi Arabien, Venezuela etc.) mitzunehmen, muss die Gruppe der Entwicklungsländer G77 aber zusammen bleiben. Wenn die Gleichgesinnten ausscheren, dann könnten sie sich noch weiter radikalisieren. Aber es gibt noch eine weitere Ländergruppen, die ein Problem werden könnte: die Albas (Bolivarische Allianz der Völker von unserem Amerika). Diese Länder (Venezuela, Bolivien, Kuba etc.) machen mir ebenfalls Sorgen. Sie wollen verhindern, dass jedes Land einen Klimaplan vorlegen muss.

Was ist die Position der Schweiz beim ‘Langfristziel? Ist die Schweiz ebenfalls für eine ‘vollständige Dekabonisierung’ der Weltwirtschaft?

‘Dekarbonisierung’ oder ‘Klimaneutralität’ fänden wir grundsätzlich gute Ziele. Unsere Präferenz ist klar letzteres, aber wir könnten mit beidem leben. Wir wollen ein sehr klares und ehrgeiziges Ziel. Aber ich bin mir sicher, dass das nicht durchkommen wird. Saudi Arabien wird der ‘Dekarbonisierung’ nie zustimmen. Es wird ein Langfristziel geben, aber ich befürchte es wird eine eher schwaches Ziel sein. Das wäre schade.

In den Alpen schmelzen die Gletscher schon bei 0,85 Grad Erwärmung. Viele Länder fordern, den Klimawandel auf 1,5 Grad zu begrenzen. Was ist hier die Schweizer Position?

Grundsätzlich wollen wir ein Ziel, das so ambitioniert ist wie irgend möglich. Ob man jetzt 1,5 Grad oder zwei Grad in das Abkommen schreibt, macht aber keinen so grossen Unterschied aus. Wir müssen die Emissionen in jedem Fall massiv reduzieren. Je geringer die Klimaerwärmung ist, desto besser.

Wird wie geplant am Mittwoch Abend das fertige Abkommen vorliegen?

Es ist wichtig, Fristen zu setzen. Fristen sollten aber auch glaubwürdig sein. Die Dinge werden erst ihren Platz finden, wenn die Leute wirklich glauben, dass dies nun der letzte Moment ist.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Dann abonnieren Sie doch weltinnenpolitik.net per RSS oder Email
oder folgen sie der Facebook Seite