„Die Schweizer Abkommen zeigen, dass robuste Regeln möglich sind“

Franz Perrez, der Leiter der Schweizer Verhandlungsdelegation, erklärt worum es bei den UN-Klimaverhandlungen geht

Franz Perrez, 54, ist der Leiter der Schweizer Delegation bei den Klimaverhandlungen.

Herr Perrez, diese Woche haben (virtuelle) Klimaverhandlungen begonnen zur Vorbereitung der UN-Klimakonferenz im November in Glasgow. Was ist das wichtigste Thema?

Die Umsetzungsregeln für die Bestimmungen des Paris Abkommens zu Emissionsreduktionen im Ausland fehlen noch. Damit können Länder wie die Schweiz sich im Ausland erzielte Emissionsreduktionen anrechnen lassen, oder Firmen können ihre Restemissionen kompensieren. Im Gegensatz zum EU-Emissionshandelssystem handelt es sich hier also nicht um Verschmutzungsrechte sondern um Reduktionsnachweise.

Diese Verhandlungen sind schon zweimal, in den Jahren 2018 und 2019, gescheitert. Warum sollte dieses Jahr der Durchbruch gelingen?

Zum einen sind die USA wieder sehr aktiv dabei und mittlerweile unterstützen 32 Länder die San José Prinzipien. [1] Diese sollen sicherstellen, dass Emissionsreduktionen nicht doppelt gezählt werden und tatsächlich zusätzlich erfolgt sind. Zum anderen ist der Druck höher, insbesondere für Brasilien. Wenn es zu keinem Abschluss kommt, dann wäre das ein sehr negatives Signal und Brasilien wäre wohl definitiv von einem künftigen Markt ausgeschlossen.

Ein Erfolg in Glasgow ist möglich, aber im Moment nicht sicher. Daher sondieren wir mit anderen Ländern einen plurilateralen Ansatz, sollte der multilaterale scheitern. Die Option eines solchen Ansatzes setzt natürlich Länder wie Brasilien zusätzlich unter Druck, denn damit wären sie vom Markt ebenfalls ausgeschlossen.

Die Schweiz wartet nicht auf einen Durchbruch auf multilateraler Ebene, sondern schließt bilaterale Verträge mit Entwicklungsländern ab. Mit wem hat die Schweiz diese Verträge abgeschlossen und was regeln die Verträge?

Aktuell haben wir Verträge mit Peru und Ghana. Außerdem haben wir Absichtserklärungen mit Senegal und Thailand unterzeichnet.

Die Verträge regeln zweierlei: Zum einen stellen sie sicher, dass die Emissionsreduktionen nicht doppelt angerechnet werden, einmal in der Schweiz und einmal im Gastland. Zum anderen stellen sie sicher, dass die Emissionsreduktionen zusätzlich zu dem sind, was das Land alleine machen kann. Dafür muss eine konservative Vergleichsbasis definiert werden. Die Schweiz schließt auch einfache Emissionsreduktionen wie große Solarkraftwerke aus. Das ist auch der Grund, warum das Aushandeln der Abkommen mit den Gastländern nicht so schnell geht. Diese müssen zuerst ihre Emissionen und ihr Reduktionspotential verstehen.

EIG. Franz Perrez spricht bei Klimkonferenzen (hier in Glasgow) nicht nur für die Schhweiz, sondern für alle Länder der Environmental Integrity Group (EIG). (Foto: IISD)
EIG. Franz Perrez spricht bei Klimkonferenzen (hier in Glasgow) nicht nur für die Schhweiz, sondern für alle Länder der Environmental Integrity Group (EIG). (Foto: IISD)

Was bringt es der Schweiz und den Gastländern, diese Verträge abzuschließen?

Die Schweiz kann mehr Emissionen reduzieren, als alleine im Inland möglich ist. Damit kann sie ein ambitionierteres Ziel formulieren und einen größeren Beitrag zum globalen Klimaschutz leisten.

Und die Gastländer können Emissionsreduktionen realisieren, die ihnen ohne Zusammenarbeit nicht möglich wären. Diese Investitionen kommen dem Land auf seinem langfristigen Weg in Richtung Klimaneutralität zu Gute. Die Gastländer profitieren zudem vom Kapazitätsaufbau: Wenn sie ihre Emissionen und Reduktionspotentiale verstehen, nützt das auch der nationalen Klimapolitik.

Könnten die bilateralen Abkommen der Schweiz als Modell für die multilateralen Verhandlungen dienen?

Ja, die Schweizer Abkommen sind ein Modell für die multilateralen Verhandlungen und wollen das auch sein. Das gilt sowohl für die (freiwillige) Abgabe an den Anpassungsfonds als auch für die inhaltlichen Regeln betreffend Doppelzählung, Autorisierung, Berichterstattung, etc. Die Schweizer Abkommen zeigen, dass robuste Regeln möglich sind. Die Schweiz leistet also mit ihren Abkommen nicht nur sich selbst einen Dienst, sondern auch Pionierarbeit für die multilateralen Verhandlungen.

Braucht es die bilateralen Abkommen noch, wenn ein Durchbruch auf multilateraler Ebene gelingt?

Sicher in einer Übergangsphase, aber nicht längerfristig. Die Transaktionskosten für die bilateralen Abkommen sind hoch. Mit bilateralen Abkommen kann aber ein ganz auf unsere Bedürfnisse zugeschnittener Rahmen geschaffen werden.

Wie viele Emissionen will die Schweiz insgesamt im Ausland reduzieren?

Zur Erfüllung ihres Klimaziels im Rahmen des Paris Abkommens braucht die Schweiz in den Jahren 2021 bis 2030 ausländische Emissionsminderungen in Höhe von 35 bis 47 Millionen Tonnen CO2.

Gibt es schon erste Projekte, die unter die bilateralen Verträge fallen?

Wir sind noch in der Pilotphase. Bisher wurde noch kein Projekt finalisiert und autorisiert. Diese Projekte werden ja nicht von der Schweiz realisiert, sondern von privaten Akteuren. Die ersten Projekte werden wohl saubere Kocher in Peru und dezentrale Photovoltaik in Ghana sein. Angedacht sind zudem grüne Darlehen für mittelgroße Firmen, damit sie klimafreundliche Projekte umsetzen können, und Projekte im Abfallmanagement, in der Zement- und Ziegelproduktion sowie kleine Wasserkraftanlagen.

Die Verträge sehen vor, dass auch Firmen diesen Rahmen nutzen können, um ihre Emissionen zu kompensieren. Besteht hier Interesse?

Ja, es besteht Interesse. Das ist ja eines der innovativen Elemente des Schweizer Ansatzes. Private Firmen können unter den Abkommen Projekte realisieren und dann Emissionsreduktionszertifikate erwerben, bei denen keine Doppelzählung stattfindet. Dafür wurde uns in der Schweiz und auch international Interesse signalisiert.

In einigen Jahrzehnten werden alle Länder klimaneutral sein. Braucht es dann die Märkte für Emissionsreduktionen noch?

Manche Emissionen können nicht auf null reduziert werden, etwa die aus der Landwirtschaft. Daher werden negative Emissionen nötig sein. Dafür wird es den Markt noch brauchen, aber natürlich in einem sehr viel kleineren Umfang als heute.

Die Verhandlungen finden virtuell statt. Funktioniert das?

Die Verhandlungen unter der Biodiversitätskonvention zeigen, dass das funktioniert. Hier wird am Bildschirm an Text verhandelt. Aber es braucht natürlich mehr Flexibilität. Dass beim Klima virtuelle Verhandlungen noch nicht akzeptiert sind, hat mit fehlendem politischem Willen zu tun. Die Länder, die keine Fortschritte wollen, argumentieren, virtuelle Verhandlungen und Beschlüsse seien nicht möglich. Die ärmsten Länder, die kleinen Inselstaaten oder die progressiven lateinamerikanischen Staaten sind dazu aber grundsätzlich bereit. Sie fordern aber Rücksicht auf Verbindungsprobleme, und dass mit der Verabschiedung der substantiellen Beschlüsse etwa zu Marktmechanismen noch zugewartet wird.

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[1] cambioclimatico.go.cr, Stand 03.06.2021: About the San José Principles