Indien torpediert multilaterale Handelsordnung

Abkommen zur Standardisierung von Zollformalitäten ist an Indiens Veto gescheitert

Weniger Bürokratie. Das ist das Ziel des WTO Abkommens zur Standardisierung von Zollformalitäten. Doch dieses Abkommen ist vorerst gescheitert, weil Indien darauf bestand gleichzeitig einen Freibrief für seine Agrarsubventionen zu bekommen.

Indien hat sein Wort gebrochen. Bis zum Schluss weigerte sich Indien einem Vertrag zuzustimmen, den es bereits unterschrieben hat: Letzten Dezember haben die Mitglieder der Welthandelsorganisation WTO ein Abkommen geschlossen, um Zollformalitäten weltweit zu standardisieren, das Abkommen über technische Handelserleichterungen TFA. Doch nun ist das Abkommen an einer Formalie gescheitert. Indien hat sich geweigert das TFA in das Regelwerk der WTO zu integrieren. Grund sind die indischen Agrarsubventionen. Delhi bestand darauf, gleichzeitig mit dem TFA eine permanente Regelung für die – wohl illegalen – Beihilfen an indische Bauern zu beschliessen. Dabei hatte man sich in Bali darauf verständigt, bis 2017 ein Lösung für dieses Problem zu finden.

Agrarsubventionen statt Bürokratieabbau: Indien verhindert WTO Abkommen, dem es bereits zugestimmt hat (Foto: Wikipedia)
Agrarsubventionen statt Bürokratieabbau: Indien verhindert WTO Abkommen, dem es bereits zugestimmt hat (Foto: Wikipedia)

„Mein Gefühl ist, dass dies nicht einfach ein weiterer Aufschub ist, der ignoriert oder mit einem neuen Zeitplan aufgefangen werden kann.“ sagt WTO Chef Roberto Azevêdo. „Dies wird Konsequenzen haben. Und mir scheint, dass diese Konsequenzen schwerwiegend sein werden.“ Denn das Problem ist nicht, dass die WTO eine selbstgesetzte Frist verpasst. Dies hat die Organisation bereits 27 Mal getan. Das Problem ist, dass Indien den Grundsatz von Treu und Glauben gebrochen hat, wie diverse Delegierte betonten. [1] Die Bereitschaft auf Indien zuzugehen dürfte sich daher auch nach der einmonatigen Sommerpause in Grenzen halten. So betont die EU: „Wir sind nicht bereit über grundlegende Elemente oder den Zeitplan zu verhandeln.“ [2] Daher wachsen grundsätzliche Zweifel, dass im Rahmen der WTO neue Handelserleichterungen ausgehandelt werden können: „Die heutige Entwicklung zeigt, dass es nur wenig Hoffnung gibt wirklich globale Verhandlungen über Handelsfragen zu führen“, sagt Jake Colvin vom Foreign Trade Council der USA. „Die grosse Mehrheit der Länder, die versteht, wie wichtig es ist, die Handelsregeln zu modernisieren und Versprechen zu halten, muss nun die Scherben zusammenkehren und herausfinden, wie es weitergehen soll.“ [3]

Eine Möglichkeit ist, das Abkommen ohne Indien als ‚plurilaterale‘ Übereinkunft umzusetzen. Gemäss einem australischen Delegierten denkt eine Kerngruppe von Ländern wie die USA und die EU seit Mittwoch Nachmittag über eine solche Lösung nach. „Was wie ein Gemurmel angefangen hat, ist nun eine sehr viel aktivere Diskussion. Und es gibt viele Delegierte, die zum Schluss gekommen sind, dass das der einzige Weg vorwärts ist.“ [3] Viele Länder wie China oder Brasilien haben bereits begonnen, die TFA Regeln in ihre nationale Gesetzgebung zu integrieren. Und die WTO hat bereits einen Fonds aufgesetzt, der den ärmsten Ländern helfen soll, ihre Zollbehörden an die neuen Abläufe anzupassen. Trotzdem befürchtet Azevêdo, dass letzlich die Ärmsten die Zeche zahlen werden: „Wenn das System nicht richtig funktioniert, dann sind die kleinsten Länder die grössten Verlierer. Es wäre ein tragisches Resultat für diese Volkswirtschaften.“ [3] Zu den Verlierern könnte allerdings auch Indien gehören, denn ohne TFA kann Indien wegen seiner Agrarsubventionen verklagt und von der WTO bestraft werden. Darauf wies US-Aussenminister John Kerry bei seinem derzeit stattfindenden Indienbesuch hin: „Wenn Indien nicht unterschreibt, sind (die Subventionen) nicht mehr WTO konform.“

Aber auch ohne Bestrafung durch die WTO, zählt Indien nicht zu den Gewinnern. Das Subventionssystem, das Delhi so vehement verteidigt, ist ineffizient: Indien kauft Lebensmittel zu überhöhten Preisen bei den Bauern auf und lagert sie dann ein. Doch 40 Prozent der Lebensmittel verrotten – 20 Millionen Tonnen Getreide pro Jahr, genug um ein Drittel der Armen des Landes zu ernähren. Ausserdem hat Indien gigantische Getreidereserven angehäuft: 60 Millionen Tonne Reis und Weizen – doppelt soviel wie geplant. Daher befürchten andere Länder, dass Indien diese Reserven irgendwann zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt wirft. Hinzu kommt der Imageschaden: Indiens neuer Ministerpräsident Narendra Modi galt bislang als pragmatisch und wirtschaftsfreundlich. Doch, „Delhis Standpunkt ist nicht nur eine Hürde für den Welthandel, sondern signalisiert auch, dass Indien im Moment nicht hinter dem offenen Handelssystem steht.“ wie Alyssa Ayres vom US Council on Foreign Relations schreibt. [4] Dass Indien bis zuletzt betont hat „voll“ hinter dem Inhalt des TFA Abkommens zu stehen, hilft da dann auch nicht mehr. mic

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[1] Bridges, 31.07.2014: WTO Trade Facilitation Deal in Limobo as Deadline Passes Without Resolution

[2] EU, 24.07.2014: EU statement on the implementation of the Bali ministerial decisions

[3] Reuters, 31.07.2014: India’s demands block 1 trln WTO deal on customs rules

[4] The Christian Science Monitor, 31.07.2014: John Kerry’s passage to India. Why is he going now?